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Das verlockende Feuer in der Tiefe

In den eisigen Erdgasvorkommen auf dem Grund der Ozeane ruhen die Träume der Wirtschaft. Doch Vorsicht scheint geboten: Der Abbau der Gashydratvorkommen könnte das Weltklima beeinflussen  ■   Von Onno Gross

Unweigerlich wird man an die Geschichte der fantastischen, bisher aber unnutzbaren Manganknollen erinnert, jenen kartoffelgroßen Erzknollen auf dem tiefen Grund der Ozeane: Nach vorsichtigen Schätzungen soll in den untermeerischen Gashydratvorräten doppelt so viel Kohlenstoff gebunden sein wie in allen anderen derzeit bekannten fossilen Lagerstätten (Erdöl, Erdgas, Kohle) zusammen. Und da soll einer noch behaupten können, die Energieversorgung der Zukunft sei gefährdet.

Fossile Brennstoffe sind nach wie vor im Trend. Es sind derzeit die wichtigsten Energieträger für die Strom- und Wärmeerzeugung. Vor allem der Anteil von Erdgas wächst dabei stetig. Falls der Weltverbrauch konstant bleibt, reichen die nachgewiesenen Vorräte noch bis zum Jahr 2040, errechnete der diesjährige Träger des Alternativen Nobelpreises, der Solarexperte und SPD-Politiker Hermann Scheer. Danach wird bei den Verteilungskämpfen um die verbleibenden Ressourcen das „größte Gemetzel der Menschheit“ anfangen, so Scheer.

Oder aber es helfen ab Mitte des nächsten Jahrhunderts die gigantischen Mengen auf dem Meeresgrund weiter. Tausend Billionen Kubikmeter Gashydrat können es schon sein, die für ein paar Jahrhunderte reichten. Wenn es eine Fördertechnik gäbe. Aber wie im Falle der Manganknollen befinden sich die Gashydratvorkommen auf dem Grund des Ozeans: Technisch können sie derzeit noch nicht gewonnen werden.

Das „Tiefseegas“ ist das Produkt bakterieller Zersetzung von abgestorbenem und auf den Meeresboden gesunkenem Plankton. Unter den besonderen Bedingungen von Kälte und hohem Druck werden die Gasmoleküle in einem Eis-Wasser-Gitter festgehalten – sogenannte „Clathrate“. Die Mikroblasen aus der Zersetzung lagern dabei im Schlamm Wasser an und bilden so die mächtigen Hydratlagen. Die meisten Sedimente der Kontinentalränder werden durch solche Eiskristalle zementiert.

Als 1997 das Forschungsschiff „Sonne“ erstmals größere Mengen Gashydrate aufsammeln konnte, die wie Brausepulver schäumten und dabei zusehends schmolzen, war die Sensation groß. Heute suchen die Wissenschaftler weltweit nach den Lagervorkommen, wobei die meisten an den Kontinentalrändern liegen, denn nur dort treffen Druck, geringe Temperaturen und ein hoher organischer Gehalt im Sediment zusammen.

Aber auch an den aktiven Subduktionszonen der Kontinentalplatten, dort wo die Platten zusammendrücken, kommen Gashydratfelder vor. Erst Anfang Oktober 1999 beendete das Kieler Forschungsschiff „Sonne“ drei Expeditionen zu dem vor der Küste Oregons in Amerika entdeckten „Hydratrücken“, einem Unterwassergebirge von der Größe des Harzes. Ziel des mit acht Expeditionen und vier Schiffen bisher größten deutsch-amerikanisch-kanadischen Meeresprojekts mit Namen Tecflux (Tektonische Materialflüsse) war die Langzeitmessung und Quantifizierung der austretenden Gase.

Für Gerhard Bohrmann und die Arbeitsgruppe Umweltgeologie vom Geomar Institut in Kiel verlief dabei die Erforschung der entdeckten Hydratvorkommen äußerst erfolgreich. Insbesondere durch den Einsatz automatischer und videounterstützter Probenahmegeräte wurden Daten zur Verteilung von Methan und Schwefelwasserstoff im Meerwasser und erste Messungen zum Gasfluss gewonnen.

Mit Hilfe des amerikanischen Tauchboots „Alvin“, bekannt von der Entdeckung der „Titanic“, konnten zum Beispiel eigens konstruierte Unterwasserstationen neben den Gasquellen plaziert werden. „Auf den Gasstellen wären sie glatt abgehoben“, so der von den hohen Flussraten überraschte Gerhard Bohrmann, „jetzt müssen wir erst einmal neue Geräte entwickeln, die diesen starken Gasströmen widerstehen können.“

Trotz des hohen Aufwandes sind automatische Messungen vor Ort, dass heißt in 600 – 800 Meter Tiefe, unentbehrlich. Denn sobald man versucht, die Proben einzusammeln oder an Deck zu holen, entweichen die Gase aus dem Eisgitter und machen exakte Messungen unmöglich.

Das besonders stabile Glasfaserkabel an Bord des modernsten Forschungsschiffes der Welt ermöglicht auch den Einsatz von Videokameras auf dem Tiefseeboden. Was sich den Wissenschaftlern da auf ihren Monitoren bot, war erstaunlich: Direkt an die Gasblasenfelder grenzten die Rasen von orangefarbenen und fädigen Bakterien und weiße Muschelnester füllten die Senken.

Die hohe Anzahl von Muscheln, bis zu 1.750 Individuen pro Quadratmeter, hat dabei am meisten überrascht. Diese Muscheln dringen mit ihrem Fuß in Spalten ein und nehmen Schwefel auf, den sie symbiontischen Bakterien zur Verfügung stellen. Die erwachsenen Muscheln haben die Benutzung des Verdauungstraktes aufgegeben und beziehen ihre Nahrung nur noch von den Bakterien, die durch Ausnutzung der in den Schwefelverbindungen gespeicherten Energie die Nähstoffe für die Muscheln produzieren. Auch die Bartwürmer brauchen die Bakterien für den Stoffwechsel und leben daher dicht um die Hydrothermalquellen.

Dort, wo die Gase kalt austreten, bilden sich die Eishydrate. Während im Laborversuch diese chemischen Komplexe schwer zu bilden sind, gerinnen unter den besonderen Bedingungen der Tiefsee die Gase sofort zu Hydraten, wie Experimente der amerikanischen Arbeitsgruppe aus Montery um Peter Brewer zeigten. Aber unterschreitet der Außendruck einen bestimmten Wert, verdunstet Methanhydrat sofort. Es muss also so abgebaut werden, dass das darin enthaltene Erdgas aufgefangen wird, eine Technik, die noch zu entwickeln ist.

Einige Prozesse in der Natur sorgen ebenfalls für eine Zersetzung der Gashydrate, mit zum Teil dramatischen Folgen. So führen unterseeische Erdbeben zu einer Lockerung der stabilen Eissande an den Kontinentalhängen, und es kann zu gewaltigen Hangrutschungen kommen.

Ein solches Ereignis war vermutlich vor 8.000 Jahren die Storegga-Rutschung bei Norwegen, bei dem eine enorme Flutwelle bis nach Schottland reichte. Bis zu 30 Meter hohe Flutwellen wären auch bei technisch falsch durchgeführten Bohrungen theoretisch denkbar, meint Hydratforscher Bohrmann. Einige Wissenschaftler vermuten sogar, dass die riesige Tsunami-Flutwelle von Papua-Neuguinea im letzten Jahr auf solchen Ursachen beruhen könnte.

Sicher ist für die Wissenschaftler jedoch, dass bei einem globalen Temperaturanstieg des Meerwassers die Gase ins Meer und nach einer gewissen Verweilzeit in den Ozeanen in die Atmosphäre entweichen können. Dort vermag das Methan als starkes Treibhausgas – es ist 25-mal stärker als Kohlendioxid – einen massiven Beitrag zur globalen Klimaerwärmung zu leisten.

Welche Rolle der Gashydrat-Zyklus als wesentlicher Steuermechanismus im globalen Klima einnimmt, ist derzeit nicht einzuschätzen, da exakte Mengenberechnungen noch fehlen. Eine Klimaerwärmung hätte besonders in den Polarregionen, wo große Mengen in den flachen Permafrostgebieten von Alaska, Grönland, Kanada, Russland und der Antarktis festgehalten werden, enorme Konsequenzen.

In den russischen Permafrostgebieten wird bereits versucht, Gashydrat mit konventionellen Methoden abzubauen. Auch die USA und Japan planen mit Hochdruck die Technik für erste Probebohrungen. Die bisher bekannten Vorkommen liegen meist in unmittelbarer Nähe der Kontinentalränder und lassen bei einigen Nationen den Traum von einer billigen, ewig sprudelnder Energiequelle aufkommen.

Für die Manganknollen, die aus einem hohen Anteil an Eisen und Mangan bestehen, aber auch Wertmetalle wie Nickel, Kupfer, Zinn, Kadmium, Zink, Silber und Kobalt enthalten, wurde eigens ein internationales Regelwerk geschaffen. Da die Manganknollenfelder hauptsächlich in internationalen Gewässern liegen, erklärten die Vereinten Nationen sie 1970 zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, das zum Nutzen der gesamten Erdbevölkerung einzusetzen sei, insbesondere jedoch der armen Länder. Die Bemühungen der eigens geschaffenen Meeresbodenbehörde endeten in einem mining code, einer Vereinbarung zum verträglichen Abbau dieser Meeresressourcen.

Aber nur für die Manganknollen sind solche Vorschriften vorhanden. Elisabeth Mann-Borgese, Professorin für Seerecht in Halifax und jüngste Tochter von Thomas Mann, beanstandet daher das Fehlen verbindlicher Regeln für die weiteren im Ozean vorhandenen Ressourcen, zum Beispiel zur Erforschung von Genrohstoffen und zur Erhaltung der Artenvielfalt. Diese ernst zu nehmende Lücke im internationalen Recht sollte ihrer Meinung nach schnellstmöglich geschlossen werden.

Im Falle eines wirtschaftlich nutzbaren Rohstoffs sind die Bemühungen für ein Regelwerk jedoch schneller. Die 1998 im US-Department of Energy eingereichten Gesetzesvorlagen diskutieren die weitere Strategie zur Erforschung der Methanhydratvorkommen und setzen heute schon eine Frist: Ab dem Jahre 2015 soll mit dem Abbau begonnen werden.

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