: Niedriglohnsektor bringt wenig neue Jobs
■ Mehrere neue Studien kommen zu dem Schluss, dass Lohnkostenzuschüsse zu Billigjobs kaum neue Arbeit schaffen würden. Die Kosten wären deshalb unverhältnismäßig hoch
Berlin (taz) – Es ist ein Mythos, der sich hartnäckig hält und immer wieder auch in der Politik gepflegt wird: Hätten wir in Deutschland einen subventionierten Jobsektor, auf dem Billigkräfte Schuhe putzen, Brötchen austragen und Alte im Rollstuhl durch die Gegend schieben würden, dann gäbe es hunderttausende Arbeitslose weniger. Doch ein solcher Niedriglohnsektor bringt kaum neue Jobs, wie mehrere Studien ergaben, deren Ergebnisse gestern auf einer Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin diskutiert wurden.
Nach den Ergebnissen der Studien schaffen die Unternehmer kaum neue Stellen, auch wenn der Reallohn sinkt. Auch Sozialhilfeempfänger fänden kaum neue Jobs, selbst wenn man ihnen die Stütze kürzt. Wenn die Reallöhne für Geringqualifizierte um ein Prozent sänken, würden nicht einmal ein Prozent mehr neue Jobs entstehen, so resümiert die Stiftung.
Noch am ehesten fänden dann mehr gering qualifizierte, teilzeitbeschäftigte Frauen einen Job, so eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.Wenn das Entgelt in diesen „Frauenjobs“ um vier Prozent nach unten sacke, steige das Arbeitsvolumen um zehn Prozent. Männer hingegen, die einen Vollzeitjob suchen, haben kaum mehr Chancen, in Arbeit zu kommen, wenn der Lohn ein bisschen niedriger ist, ergab die ZEW-Schätzung, die auf einer Simulation beruht.
Die ZEW-Forscher untersuchten auch den Fall, dass die Sozialhilfe um zehn Prozent gekürzt wird, der heimliche Traum mancher konservativer Sozialpolitiker. Würden dann urplötzlich Tausende von Sozialhilfeempfängern in Arbeit verschwinden? Nein, so das ZEW.
Bei einer solchen hypothetischen Kürzung der Sozialhilfe begännen nur etwa 45.000 Empfänger einen neuen Job, vor allem westdeutsche Männer. Bei den Frauen, bei Ausländern und Ostdeutschen würde sich eine Kürzung dagegen kaum so auswirken, dass die Armen in Arbeit wechselten. Teilweise würden die Betroffenen dann versuchen, die Kürzungen durch das Einkommen des Partners wieder aufzufangen, ergab die ZEW-Studie.
Auch in dem Fall, dass Arbeitslosenhilfeempfänger mehr zur Stütze hinzuverdienen könnten, würden sie kaum zusätzliche Jobs besetzen (was selbstverständlich auch davon abhängt, welche Art von Jobs ihnen auf dem Markt angeboten werden). Die ZEW-Forscher kamen auf einen Beschäftigungseffekt von 8.000 Personen, wenn ein Hinzuverdienst weniger streng auf die Stütze vom Arbeitsamt angerechnet würde.
Die Forscher räumten zwar ein, dass mehr Jobs entstünden, wenn die Unternehmer neue Stundenlohnsubventionen für gering Qualifzierte kassieren könnten. Damit könnten für 60.000 bis 100.000 Menschen neue Arbeitsstellen geschaffen werden. Der Preis jedoch ist hoch: Die ZEW-Forscher kamen auf Nettokosten von sieben Milliarden Mark. Das heißt, die Kosten für die Subvention stünden in keinem Verhältnis zu den Mehreinnahmen, die durch höhere Steuereinnahmen, mehr geleistete Sozialversicherungsbeiträge und Einsparungen der Arbeitsämter hereinkämen.
Barbara Dribbusch
Kommentar Seite 12
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