Das Handy auf dem Getreideacker

■ „mare balticum“: Vom 4.-21.11 werden in Oldenburg Filme, Konzerte, Lesungen, Fotos, Gedanken etc. aus und ums Baltikum zu erleben sein

Mit dem Festival „Terra Incognita“ in der internationalen „Prisma“-Reihe betrat die Oldenburger Kulturetage 1994 nicht zum ersten Mal den noch weitgehend unbekannten Kulturacker Osteuropas. Jetzt hat sich der Schwerpunkt etwas seewärts verlagert: Mit „Prisma 4“ schaukeln die Festivalmacher vom 4.-21. 11 mit 37 Programmpunkten durch alle Sparten des „mare balticum“. Bernd Wach, der künstlerische Leiter der Kulturetage, erzählt von den Entdeckungen, die den Besucher erwarten.

taz: In dem Vorwort zum Festivalprogramm sprichst du sehr persönlich von der „Suche nach meinem Arkadien“, die bereits Arthur Becker beschwor. Wodurch ist so ein umfangreiches Programm denn außerdem künstlerisch gerechtfertigt?

Wach: Die Kulturetage pflegt etwa seit zehn Jahren – ganz unabhängig von meiner persönlichen Verbindung – Kontakte in die Region. 1990 hatten wir erstmals die polnischen Kulturtage. Und auch auf anderen Festivals in Europa steht in diesem Jahr ein Thema im Mittelpunkt: Was ist in den letzten zehn Jahren in der Sowjetunion und den ehemaligen Satellitenstaaten passiert? Wir nun konzentrieren uns besonders auf die Ost-West-Nachbarschaften, die Beziehung der Balten zu Schweden oder Finnland. Zufällig besucht ja auch unser Bundeskanzler im November die baltischen Staaten. Dort gibt es eine neue Generation von Theatermachern, viele um die dreißig. Das ist vergleichbar mit dem, was sich in Berlin an der Schaubühne abspielt. Peeter Jalakas etwa reflektiert den Sprung von einer Agrarregion in eine Welt der Computeranimation. Auf der Bühne prallen bäuerliche Folklore und Handy aufeinander. Etwas vorsichtiger geht es zu bei den Tanzchoreographen. Da wirkt vieles noch etwas unterentwickelt.

In der Suche nach dem Arkadien klingt aber auch eine Verklärung an. Tatsächlich gab es in Polen einen starken Antisemitismus und es gab lettische KZ-Aufseher. Wo bleibt dieser Aspekt?

Es gibt ein kulturpädagogisches Projekt in diesem Festival. Das will eine Verbindung zwischen Oldenburg und Lettland herstellen: Der Jugendclub der Kulturetage begab sich auf die Spuren der lettischen Kolonie, und im Verlauf dieser Odyssee sind eine Ausstellung und ein paar Theaterszenen entstanden. In dieser Kolonie sind natürlich in erster Linie diejenigen gestrandet, die mit der SS zusammengearbeitet haben und deshalb beim Einmarsch der Roten Armee dringend weg mussten. Das schneidet einen Themenkomplex an, der in diesen Ländern zurzeit verdrängt wird, übrigens auch in der Kulturszene. Sie knüpfen eher an der kurzen Zeit ihrer Selbstständigkeit zwischen den Weltkriegen an. Außerdem thematisieren sie das Leid durch die lange russische Besetzung.

Film aus Estland, Tango aus Finnland, Piirpauke und Eva Maria Hagen sind auch da. Wird das Oldenburger Publikum die Programmfülle annehmen?

Die Festivalform hat ganz ökonomische und werbetechnische Gründe. Sponsoren und Stiftungen muss man etwas anderes anbieten als ein laufendes Programm. Das haben wir bereits versucht, aber es wurde nicht angenommen. Aber das Musikprogramm wird von den Oldenburgern erfahrungsgemäß gerne besucht.

Es gibt auch ein paar Projekte, von denen wir hoffen, dass sie weiter gehen. Im „Leporello Projekt“ arbeiten KünstlerInnen länder- und spartenübergreifend unter der Regie von Tine Madsen. Das Arbeitsergebnis wird hier am 16.11 gezeigt und soll Anfang 2000 in der Weltkulturhauptstadt Helsinki weiterentwickelt werden, um dann nach Rakvere/Estland zu wandern.

Es gibt ein recht gutes Netzwerk, in dem wir mitarbeiten, den „Baltic Circle“. Über den werden wir wohl auch mit unseren eigenen Produktionen auf Festivals präsent sein.

Fragen: Marijke Gerwin

Genaue Termine im Programmheft oder unter Tel. 0441 924800