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Zweite Geschichte aus der Welt der Benzodiazepine    ■ Von Carola Rönneburg

Als der Start für den Flug nach Barcelona zum vierten Mal verschoben worden war, ging ein großes Murren und Knurren durch die Reihen der wartenden Passagiere. Unerhört sei das, echauffierte sich ein Mann neben mir, falls man überhaupt noch aus Sevilla wegkäme, werde man ganz bestimmt nicht mehr nach Deutschland gelangen. „Und niemand sagt einem, was überhaupt los ist!“

Der Mann hatte Recht, also nickte ich stumm. D. h., eigentlich wackelte ich wohl mehr mit dem Kopf, denn ich konnte seine Aufregung überhaupt nicht teilen: Als alter Flugangsthase stand ich bereits unter dem Einfluss meines bewährten Beruhigungsschlafmittels und war daher nicht in der Lage, große Gefühle aufwallen zu lassen. Dennoch hatten die Worte meines Nachbarn einen schwerfälligen Denkprozess in Gang gesetzt. Falls man überhaupt noch aus Sevilla wegkommt, überlegte ich, ist die Weiterreise nach Berlin also ungewiss. Dann müsste man wahrscheinlich in Barcelona warten. Ich wollte nicht in Barcelona warten. Ich wollte jetzt schlafen. Aber nicht auf dem Flughafen, räsonierte ich weiter. Jawohl. Man musste wahrscheinlich irgendwelche Konsequenzen ziehen.

Eine Viertelstunde später war ich zu einer Schlussfolgerung gelangt: Ich würde bei der Firma Iberia vorsprechen. Zufrieden mit dieser Entscheidung, trottete ich zurück in die Flughafenhalle und stellte mich in eine lange Schlange vor einen Informationsschalter. Hinter dem Tresen war ein Mann für Anfragen aller Art abgestellt, drei weitere lasen Zeitung bzw. lachten herzlich am Telefon oder tranken Kaffee. Verzeihung, dachte ich, können Sie sich bitte um uns kümmern. Wir sind ganz viele und so müde. Helfen Sie doch mal Ihrem Kollegen. Huhu.

Natürlich geschah nichts. Eine knappe Stunde später hatte ich allerdings in Erfahrung gebracht, dass ich mich auf eine Warteliste setzen lassen könnte; das und alles weitere, schrieb ich mit, sollte ich im Reklamationsbüro des Flughafens klären.

Vor dem Reklamationsbüro hatte sich eine sehr lange Schlange gebildet, denn inzwischen war es zu weiteren Verspätungen und Ungewissheiten im Flugverkehr gekommen. Es ging schleppend voran, Menschen aller Nationen schoben sich dicht an dicht durch einen kleinen Flur und brüllten aufgeregt in ihre Mobiltelefone. Ich lehnte mich gegen die Wand – zweimal auch gegen den Lichtschalter – und hielt mich wach. Als ich endlich die Pole Position erreicht hatte, beschäftigte sich der Reklamationsbeauftragte mit einem deutschen Ehepaar, das zweistimmig wetterte und tobte und „seats on the next flight“ verlangte, „business class as an Entschädigung, of course“ und außerdem „Lunch! We must eat something!“, keifte die Frau, „you are responsible and ...“ Der Beschwerdemanager erhob sich mitten in ihrer Tirade, lächelte freundlich und verschwand in einem Nebenraum. Durch ein Milchglasfenster in der Tür konnte man seine zigaretterauchende Silhouette sehen.

Auch dieser Mann hatte Recht. „Ich hätte gern ein Hotel in Sevilla“, sagte ich, als ich an der Reihe war. „Gern“, antwortete Senor Iberia und stellte mir einen Gutschein für ein herrliches Luxushotelzimmer mit einem handballfeldgroßen Bett aus. Ich konnte mich nicht beschweren.

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