: „Jazz, richtig hartes Zeug“
■ Nur wer nichts verkauft, bezeugt wirkliche Kreativität, das ist das Motto von Branford Marsalis. Der Jazz-Saxophonist über Jazz als Image und Innovation, über seinen einflussreichen Bruder Wynton, dumme Musik und seine Arbeit als „Tonight Show“-Pausenclown
Nimmt man die atemberaubende Jazz-Karriere seines jüngeren Bruders Wynton Marsalis zum Vergleich, dann spielte Branford Marsalis als Jazzmusiker bislang noch nicht das erste Saxophon.
Richtig bekannt wurde er einst durch seine Engagements bei Sting und in der „Tonight Show“. In seinen Anfangsjahren, als er mit 26 schon mal so richtig populär war, hießen seine Platten „Renaissance“ oder „ Royal Garden Blues“. Seither haben sich die Verkaufszahlen seiner Jazzplatten sukzessive der Nulllinie genähert, seine letzte CD „The Dark Keys“ war der absolute Flop. Branford deutet derlei Fakten jedoch zum Geniestreich um. Sein Motto: Nur wer nichts verkauft, bezeugt wirkliche Kreativität.
„Requiem“ dokumentiert nun die interne Reife des Branford-Marsalis-Quartetts, Stand Herbst 1998. Während der Aufnahmen starb der langjährige Freund und Pianist Kenny Kirkland, der während der vorausgegangen Tour Farbe und Atmosphäre in Branfords Musik zurückgeholt hatte. Mit seinem aktuellen Quartett um den Pianisten Joey Calderazzo geht Marsalis jetzt auf Tour.
Die so genannten Meilensteine der Jazzgeschichte waren nur selten Bestseller. Von der einflussreichen Miles-Davis-Platte „Nefertiti“ etwa wurden binnen 15 Jahren gerade mal 35.000 Stück verkauft. Auch Ihre Jazzplatten sind ja eher gefloppt ...
Das Jazzlife besteht nun mal nicht aus edlen Clubs, in denen nur hübsche Frauen und tolle Typen herumlaufen. Und die Musik, die wir spielen, ist viel anspruchsvoller und progressiver, als es die Leute erwarten. Das frustriert sie.
Das Publikum läuft Ihnen also davon, sobald Sie zu spielen anfangen?
Die Erwartungen stimmen oft nicht. Ich denke, der Fehler liegt darin, den Jazz für ein größeres Publikum attraktiv machen zu wollen. Wichtiger ist doch, das zu spielen, was man selbst spielen will, und vor allem für die Leute zu spielen, die es wirklich hören wollen. Zum Teufel mit den Leuten, die sich nicht dafür interessieren! Klar, wir wollen natürlich auch, dass es ihnen gefällt, doch im Vordergrund steht der Spaß, den wir bei der Sache haben.
Sie sind seit einem Jahr Kreativberater für Jazz beim Columbia-Label. Müssen Ihre Projekte nicht auch kommerziell erfolgreich sein?
Na klar hat und braucht auch die Jazzabteilung Verkaufserfolge. Aber in dem Segment für das ich zuständig bin, geht es mehr um die Entwicklung des neuen Potenzials. Viele Jazzmusiker machen sich etwas vor, wenn sie sagen, dass sie Jazz den Leuten näher bringen, indem sie kommerzielle Musik spielen. Ich hingegen meine Jazz, richtig hartes Zeug, das die Leute nicht verstehen. Zwar freue ich mich nicht gerade darüber, dass es nicht verstanden wird. Aber auch Popmusik kann sehr intellektuell sein, die Beatles würde ich zum Beispiel als intellektuell bezeichnen, besonders von der kompositorischen Seite her. Genauso King Crimson, Yes und auch Led Zeppelin. Wenn es nicht anspruchsvoll wäre, hätte es schließlich auch jeder andere machen können. Der Blues von John Lee Hooker – das ist intellektuelle Musik. Heutzutage haben wir leider viel mehr dumme Musik als früher. Das liegt daran, weil heute Image und nicht Musik verkauft wird, Image ist viel profitabler.
Anfang der Achtzigerjahre wurde mit Wynton Marsalis als Vorzeige-Youngster eine zweifelhafte Newcomer-Bewegung im Jazz inszeniert, von der wenig geblieben ist. Wie haben diese „Young Lions“ den Jazz der letzten zwanzig Jahre geprägt?
Das Gute an diesem Phänomen war, dass Jazzmusiker endlich anfingen, Geld zu machen. Mit Wyntons Band machten wir wirklich große musikalische Schritte – bestimmte Schritte, die, wenn man von uns und einer Hand voll anderer mal absieht, niemand gemacht hat. Eine Menge Musiker machten eine Menge Geld und profitierten vom Wynton-Marsalis-Image – den Anzügen mit Kravatte, der gewählten Sprache, dem ganzen Auftreten.
Es war vor allem die Wahrnehmung, die Wynton erfolgreich machte, er trug schließlich einen Anzug, und er war jung. Der Hauptgrund für seinen Erfolg war jedoch die Tatsache, dass er besser spielte als jeder andere – leider rückt dieser Aspekt oft in den Hintergrund. Wenn jetzt mit all diesen Kids Verträge gemacht werden, hört man sich leider gar nicht ihren Sound an, man begutachtet sie nur, und wenn sie aussehen wie Wynton, bekommen sie ihren Vertrag, egal wie ihr Sound ist. Die Young Lions Decade bestand hauptsächlich aus Wynton. Meiner Meinung nach gab es die so genannten Young Lions nie wirklich, die nötige Musikalität und Kreativität war nämlich nur bei Wynton und seinen Bandkollegen zu finden. Natürlich gab es noch mehr Leute, die sich mit kreativen Dingen beschäftigten, zum Beispiel Steve Coleman oder Geri Allen. Irgendwie erschien dieses Phänomen wie ein TV-Werbespot, es war nicht richtig real! Inzwischen gibt es eine ganze Generation von Musikern, die dank uns eine Menge Geld machen, so was nennt man „Standing of the Shoulders of the Giants“. Sie nehmen Platten mit ganz alten Sachen auf, und das kommt dann auch noch an. Uns hingegen wurde derzeit vorgeworfen, diese Wege einzuschlagen, man nannte uns „new traditionalists“. Dabei spielten wir noch nicht mal halb soviel Traditionelles wie heute. Weit über 70 Prozent bewegen sich im traditionellen Bereich, und die Alben von jungen Verve-Künstlern klingen wie alte Blue-Note-Aufnahmen. Die Intention ist klar: Mache eine Balladenplatte und verkaufe davon eine Million Exemplare, oder mache ein kreatives Jazzalbum, von dem du kein einziges verkaufst.
Tatsächlich hat Wynton es geschafft, sich einen Machtbereich zu schaffen, und zwar im Herzen der Hochkultur-Bestie. „Jazz at Lincoln Center“ ist unter Wyntons Leitung binnen weniger Jahre – praktisch aus dem Nichts – zur hoch budgetierten und aktivsten Jazzinstitution Amerikas entwickelt worden. Sehen Sie Wynton als Revolutionär?
In dem gesamten Diskurs um Wynton geht es eigentlich nur um Macht. Historisch gesehen war die Mehrzahl aller großen Jazzmusiker schwarz, doch der Großteil der Leute, die verantwortlich sind für die Definition von Jazzmusik und bestimmen wollen, was diese Musik repräsentiert, war und ist weiß. Musiker hingegen machten kaum je den Mund auf, wenn es um ihre Musik ging, und wenn sie es doch taten, wich ihre Meinung nie von der der Kritiker ab. Wynton nimmt den Kritikern jetzt praktisch ihre Jobs weg, denn er spielt nicht nur Jazz, sondern definiert auch mit der Leitung von „Jazz at Lincoln“ für die ganze Welt seine Auffassung von Jazz. Und Wyntons Auffassung hat nun mal einfach wesentlich mehr Gewicht als das, was die Kritiker über Jazz denken.
Sie stammen aus der schwarzen Mittelschicht in New Orleans. Würden Sie Ihre Karriere als Synonym für schwarzen Fortschritt bezeichnen?
Schwarze Entertainer hatten schon immer Geld, nur Macht und Kontrolle über ihr Schicksal besaßen sie nie. In bestimmten Bereichen beginnt sich das zwar zu ändern, z. B. bei HipHop-Produzenten, die sowohl viel Geld als auch Macht besitzen, allerdings nur innerhalb eines äußerst begrenzten Einflussbereichs. Auf den ersten Blick erscheinen sie sehr mächtig, doch in Wirklichkeit machen sie nur einen ganz geringen Teil aus. Der Anteil an Platten, die sie produzieren, liegt nur bei etwa 10 Prozent von allen Produktionen in Amerika. Politisch gesehen ist es eine völlig andere Geschichte, wenn man jemanden wie meinen Bruder hat, der einen millionenschweren Betrieb wie das Lincoln Center leitet. Die Wahrnehmung des Lincoln Center ist bei den Kulturinteressierten in den USA eine ganz andere. Als musikalischer Leiter einer TV-Show befand ich mich in einer ganz anderen Situation, denn für den Durchschnittsamerikaner zählt vor allem, was mit einer TV-Show repräsentiert wird. Es bedeutete fast noch mehr für sie, mich aus der Show aussteigen zu sehen: Es war ein Schock.
Aber eigentlich machten Sie da doch nur den Pausenclown, der immer über Jay Lenos Witze lachen muss.
Im Baseball gab es Jacky Robinson. Er war der erste schwarze Spieler in einer weißen Mannschaft, 1947. Er sagt häufig, dass damals ein enormer Druck auf ihm lastete, trug er doch das Riesengewicht des gesamten schwarzen Bewusstseins Amerikas allein auf seinen Schultern. Niemals zuvor in der Geschichte hatte ein einzelner 22 Millionen Fans! Da sitzt also fast die gesamte Nation und setzt Riesenerwartungen in dich, während die anderen 30 oder 40 Prozent nur darauf warten, dass du unterliegst. Der Druck muss wirklich wahnsinnig groß gewesen sein. Als ich in die „Tonight-Show“ einstieg, kamen plötzlich ältere Schwarze auf mich zu, die normalerweise kein Wort mit mir gesprochen hätten – sie umarmten mich und sagten mir, wie stolz sie auf mich seien. Natürlich fühlte ich nicht so einen großen Druck wie Jacky Robinson, doch ich begann zu verstehen, wie es für ihn damals gewesen sein muss. Derartige Reaktionen hätte ich einfach niemals erwartet. Für mich war die TV-Show eigentlich gar nicht so'n großes Ding, jedoch für viele andere Leute schon, denn ein Schwarzer war zuvor einfach nicht in einer solchen Position. Für viele war es ein Wahnsinnsereignis, und als mir das klar wurde, hatte ich etwas mehr Respekt vor meinem Job – vorher hatte ich ihn einfach als eine Station gesehen, ich dachte mir, ich mache das ein paar Jahre und danach widme ich mich wieder anderen Projekten.
Buckshot LeFonque heißt Ihr relativ erfolgreiches Pop-Projekt. Unter dem Pseudonym Buckshot LeFonque hat auch einst der Jazzmusiker Cannonball Adderley einige Titel aufgenommen. Sie sagen, das Wort Buckshot bedeute nichts. Was hat es mit dem Begriff auf sich?
Mit dem Statement, dass Buckshot nichts bedeuten würde, erfanden wir einfach nur eine wunderbare Lüge für Amerika. Wir lügen extra, denn in den USA brauchen sie zu jedem Phänomen die passende Geschichte; wenn man erzählt, dass Buckshot nichts weiter bedeutet, bekommt man zu hören, dass es so was doch gar nicht geben würde, dass doch etwas dahinterstecken müsse.
Es gibt also eine Message?
In der HipHop-Sprache nennen wir das mind spray. Gemeint ist damit der Ausdruck von Ideen in für den Rap charakteristischer, verschlüsselter Weise, so dass normale Leute nicht folgen können. Wenn man also in einem enormen Tempo mit ganz speziellen Ausdrücken bestimmte Gedanken und Auffassungen zum Besten gibt, spricht man von einem mind spray. Dazu gehört auch die shot gun, shot gun pilots werden buckshot genannt. Wenn man nämlich schießt und die Kugeln herauskommen, ist das vergleichbar mit der Bandbreite der Stücke auf unseren Buckshot-Alben. Es ist eine Art mind spray, eine musikalische shot gun, aus der die verschiedensten Stücke herausfliegen. Eigentlich Bullshit, doch es klingt gut.
Interview: Christian Broecking
Tourdaten: 28. 10. Hamburg, 29. 10. Düsseldorf, 30. 10. Frankfurt, 31. 10. Stuttgart, 1. 11. Mannheim, 3. 11. Berlin, 5. 11. Ingolstadt, 6. 11. Aalen
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