: Die Welt ist überall da, wo man selber ist
■ 18 Monate waren sie im Ausland. Nun sind Dagmar Papula und Norbert Kentrup wieder in der Shakespeare Company aktiv
Wenn einer eine Reise tut, dann bringt er meist schrecklich langweilige Urlaubsfotos mit. Bei zwei Reisenden wird's zumeist richtig gruselig. Oder so spannend, dass man stundenlang zuhören könnte. Für Norbert Kentrup und Dagmar Papula gilt letzteres.
Ein halbes Jahr London, Arbeit im Dunstkreis des rekonstruierten shakespeareschen 'Globe Theatre'. Dann der Sprung nach Übersee: Er als Visiting Professor für Schauspiel an der University of Toronto, sie als Writer in Residence. Das Angebot, länger in Toronto zu bleiben, haben sie ausgeschlagen. Vor allem, weil Norbert Kentrup eine Sehnsucht verspürte, wieder in der deutschen Sprache zu spielen.
Eindrücke haben sie mitgebracht, Ideen. Aber auch Verunsicherungen. Angeknackst sei vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der hier alles passiert. Seit Anfang September sind sie wieder hier. Schon eingelebt? „Es fällt sehr schwer“, sagt Dagmar Papula, „wir waren ja anderthalb Jahre weg, in London, Toronto. Du kommst zurück in dieses Bremen. Das ist plötzlich ein Dorf.“ Ein Dorf mit Welthafen, ergänzt Kentrup. Und lacht.
Überhaupt Architektur, daran machen die Rückkehrer Unterschiede fest. Anderswo bleibe man manchmal stehen, und denkt: „Wow, so kann man also auch bauen“. In Bremen passiert das nicht wirklich. Vielleicht die neue Schlachte. „Da ist wenigstens der Versuch, mal was zu gestalten“, sagt Kentrup, „Das fällt schon extrem auf.“ Unter stadtplanerischen Gesichtspunkten wahrlich ein karges Ergebnis. „Die Lust zu gestalten, das ist in Weltmetropolen eben eine ganz andere Geschichte.“
Gleiches gilt für die Theaterlandschaft. Eine besondere Erfahrung im Ausland sei die Position des „privilegierten Fremden“. Papula: „Das ist uns extrem aufgefallen, in London, speziell aber in Toronto, das eine wirklich multikulturelle Stadt ist: Da ist jeder fremd. Und dann nach Deutschland zurückzukommen. Diese geistige Enge.“ Von den StudentInnen seiner Klasse, erzählt Kentrup, seien nur zwei in Kanada geboren. Der Rest käme von überall her. „Ein Riesenmischmasch, das ist Teil dieser anderen Realität, von der wir in Deutschland weit entfernt sind. Das lässt einen für das Theater auch nach vorne suchen.“
Ist die kanadische Theaterszene denn so anders? „In einer Weltstadt wie Toronto gab es bis vor 25 Jahren noch kein Theater. Das kann man kaum glauben.“ Jetzt aber tue sich eine ganze Menge. Viele Produktionen, kurze Proben- und Spielzeiten. Kaum Absicherung und keine Subventionen. Auch davon haben sie einiges an Ideen mitgenommen. Tut der hiesigen Theaterlandschaft vielleicht ganz gut. Ohne die Theaterleute gleich dem Bettelstab zu überantworten.
„Es gibt in Toronto eine intensive Beschäftigung mit heutigen Stücken. Shakespeare gibt es nicht. Die deutschen Autoren gibt es nicht. Thematisch ist es ähnlich wie in der britischen Dramatik. Nicht aber bei den Formen: Die Kanadier kommen ganz stark von der Dokumentation her.“
So sei die hierzulande übliche Parabel, eine Figur als Engel zu stilisieren, wie in Papulas „Angel on the Train“ – ein Stück für Kentrups Abschlussklasse – kaum verstanden worden. Das habe mit der Identitätsfindung zu tun, die sich von Europa weg bewege. „Das Europa alt ist“, sagt Dagmar Papula, „habe ich erst da begriffen.“ Deutlich werde das bei der Schauspielausbildung. Akademisches und die Praxis seien sehr angenehm gemischt. „Fast alle Studenten hatten Jobs, waren ständig busy“. Der Realitäsbezug bleibe so immer präsent. „Meine Ausbildung war da entschieden ruhiger.“ Die war ja auch staatlich subventioniert.
In Kanada ist auch Dagmar Papulas Erzählung „Sieben Tage in Attawapiskat“ entstanden. Ein Bericht über ihre Reise in ein Cree-Reservat an der Hudson Bay, weit im Norden des Bundesstaates Ontario. „Ich kann nicht eine Kultur, in der ich nicht zu Hause bin, in diesem Fall die indianische, so adaptieren, dass ich in ihr leben könnte. Ich kann aber versuchen, Essentials begreifbar zu machen, wissend, dass das andere auch anders sein soll.“
Kein native speaker also, aber doch speaker for the natives. Darum auch die traditionelle Form des Reiseberichts. So könne sie beide Seiten zeigen. Traditionelle Mythen und Bräuche, zugleich aber auch die Tatsache, dass Reservate weniger mit der Cree-Kultur zu tun haben als vielmehr mit der Ausgrenzungspolitik, die sie spiegeln.
Was macht man nun mit diesen Erfahrungen? „Das weiß ich noch nicht. Wir wissen, dass es etwas für uns bedeutet. Nur noch nicht, was. Man muss abwarten.“ Schönes Schlusswort. Tim Schomacker
Heute und morgen sind Dagmar Papula und Norbert Kentrup in einer Wiederaufnahme von „Timon von Athen“ ertmals wieder auf der Bühne des Theaters am Leibnizplatz zu sehen (19.30 Uhr). Am Sonntag, den 31. Oktober, liest Dagmar Papula um 18 Uhr dort aus ihrer Erzählung „Sieben Tage in Attawapiskat“.
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