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Herr Hefele kriegt zwei Minuten

■ Albert Hefele

Stellen wir uns einmal Folgendes vor: Sie leben als Missionar in Neuguinea und ... wieso Missionar? Von mir aus auch als Entwicklungshelfer – bitte nicht dazwischenreden. Jedenfalls, in Neuguinea haben Sie – durch Misswirtschaft und Schlamperei bedingt – nur auf eine einzige Zeitung Zugriff ... Warum Neuguinea? Das ist völlig egal. Das Ganze könnte auch in Wladiwostok stattfinden oder in der Wüste Gobi.

 Darf man diesen Sport erwähnen? Ich will es mit einer Art Märchen versuchen.

Wo war ich? Genau. Sie haben also nur Zugang zu einer einzigen Zeitung, die Sie allerdings täglich erreicht. Wie das gehen soll? Das ist doch völlig egal, hören Sie mir einfach weiter zu! Also, es kommt noch besser: Sie erhalten nur die Sportseite dieser einzigen Zeitung ... nichts sagen und nichts fragen! Es ist halt mal so!

Zusammengefasst: Sie leben an einem einsamen, der Zivilisation fremden Ort und erhalten als einziges Informationsmittel die Sportseite einer Tageszeitung. Und diese Tageszeitung ist die momentan vor Ihnen liegende. Ihre Tageszeitung. Wenn Sie ein sportinteressierter Mensch sind, würden Sie sagen: „Das geht in Ordnung. Was brauche ich mehr zum Glücklichsein? Die Sportseite dieser Zeitung ist die beste weit und breit. Hier schreiben die kompetentesten Fachleute und erklären mir die Welt des Sportes und alles andere darüber hinaus. Was will ich mehr?“ Und Sie hätten Recht damit, drüben in Ihrem heißschwülen Neuguinea, und wären's zufrieden.

Und wüssten nicht, dass Sie zwar sehr viel und Vielfältiges, aber beileibe nicht alles aus der großen Welt des Sportes erfahren. Denn: es gäbe da einen Bereich, über den Sie nie in Ihrem Leben auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren würden. Eine winzige Randsportart? Keineswegs eine Randsportart – wie beispielsweise Rhönradfahren, für das sich im besten Falle noch Leni Riefenstahl interessiert. Nein, ganz im Gegenteil! Ein Massenspektakel ersten Ranges, von allen Werbetreibenden geifernd umworben und von allen möglichen Fernsehsendern bis zur Unerträglichkeit präsentiert. In einer Ausführlichkeit, von der beispielsweise die Fußballer nur träumen können. Oder glauben Sie, dass in ferner Zeit einmal das Training des FC Bayern München live übertragen werden wird? Ein Megaereignis, zu dem schon Tage vor dem Event Tausende pilgern und ihre Zeit damit verbringen, einer sie demnächst ereilenden Taubheit zuzuarbeiten.

Ich weiß, dieser Satz ist etwas rätselhaft, aber das hat Gründe. Wir, die wir diese Seiten mit Worten füllen, haben nämlich den Auftrag und mussten uns quasi per Halbschwur dazu verpflichten, über diesen Sport mit keinem Wort zu berichten. Es ist nämlich ein unguter Sport. Gefährlich. Nun gut, das ist Skifahren auch. Aber beim Skifahren werden keine fossilen Brennstoffe verbraucht ... Dig it? Nein?

Ich will es mit einer Art Märchen versuchen. Auf dem Kontinent der Zwerge gab es ein Land, in dem alle Straßen nirgendwohin führten. Wenn man einmal darauf fuhr, so kam man immer wieder dahin zurück, wo man losgefahren war. Dort war ein großes, großes Tuch gespannt und sprach: „Start und Ziel“. Auch wartete ein geheimnisvoller Zwerg mit einer schwarzweiß karierten Fahne und winkte manchmal.

Überhaupt war alles voll mit Zwergen. Es gab viele Zuschauerzwerge, Schraub- und Tank- und Pit-Stop-Zwerge. Es gab sogar Boxenluderzwerginnen, die die so genannten Fahrerzwerge verwirrten, wenn diese ihrem seltsamen Tagewerk nachgingen, das da hieß: immer rund um den Kreisverkehr! Nur um zu sehen, wer denn der schnellste Zwerg sei. Die Zwerge hatten seltsame Namen wie Schumi und Mika ... na ja, Zwerge eben. Und es gab allerhand Zwist und Petzereien zwischen ihnen und Neid und Missgunst und vielfältige Affairen. Hört sich interessant an, diese Mischung aus sinnlosem Um's-Karree-Fahren und hoher Eitelkeiten-Frequenz? Die ideale Abbildung des menschlichen Theaters? Und damit ein ideales Thema für eine Kolumne? Aber genau. Schade, dass man nicht drüber schreiben darf.

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