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„Gestörter Zustand“

■ OVG erörtert Radioaktivität aus AKW Krümmel. Betreiber räumt Defizite ein

Vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig wurde gestern die radioaktive Emission aus dem Atomkraftwerk Krümmel (Kreis Herzogtum Lauenburg) erörtert. Zwei in der Umgebung des Kraftwerkes bei Geesthacht an der Elbe wohnende Ärzte klagen vor dem 4. OVG-Senat gegen das Kieler Energieministerium auf einstweilige Stilllegung des Reaktors. Die Kläger machen das AKW für die weltweit einmalige Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern in der Elbmarsch verantwortlich.

Am zweiten Verhandlungstag hörte das Gericht die Prozessbeteiligten zur Emissionsüberwachung des Kernkraftwerkes. Für die Kläger schloss die Ärztin Helga Dieckmann einen größeren Störfall mit einer erhöhten radioaktiven Belastung der Umgebung aus. Der Zusammenhang zwischen dem Kraftwerk und den Blutkrebserkrankungen habe subtilere Ursachen.

Eine Vertreterin der Betreibergesellschaft Kernkraftwerk Krümmel (KKK) sagte, es sei nicht maßgeblich, wenn bei einzelnen Messergebnissen Grenzwerte überschritten würden. „Entscheidend ist das Mittel aus einer Vielzahl von Messungen.“ Allerdings räumte sie „Defizite in unserer Überwachung“ ein. So sei eine Messstelle in einem „gestörten Zustand“ gewesen. Aus dem Defizit lässt sich nach ihrer Ansicht aber „nicht ableiten, dass das Kernkraftwerk Krümmel jemals den Rahmen einer Betriebsgenehmigung verlassen hat.“

Für die Kläger sah deren Anwalt Ulrich Wollenteit hingegen den „Anfang eines Gefahrenverdachts“. Die sich daraus ergebenden juristischen Konsequenzen würden einen Widerruf der Betriebsgenehmigung durch das OVG nach sich ziehen.

Der Vorsitzende Richter Peter Nissen stellte in diesem Zusammenhang klar, selbst wenn 1985 Emissionen aus dem AKW die ers-ten Leukämiefälle verursacht hätten, würde das nicht bedeuten, dass das Kraftwerk abgeschaltet werden müsse. „Der Widerruf einer Betriebsgenehmigung ist keine Strafmaßnahme für Versäumnisse in der Vergangenheit, wir sehen in die Zukunft“, sagte der Richter.

Seit 1989 sind in der Region östlich von Hamburg zehn Kinder, ein Jugendlicher sowie zehn Erwachsene an Leukämie erkrankt. Zwei Kinder und ein Jugendlicher sind gestorben. Jetzt gebe es auch vermehrt Gehirntumore bei Menschen in der Elbmarsch. Das Verfahren wird heute fortgesetzt. dpa

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