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Der bittersüße Gladiator

American Pie: Der am Montag verstorbene Football-Spieler Walter Payton war nicht nur für seine Sanftheit berühmt    ■ Von Matti Lieske

„Beerbellies of all ages come to watch the gladiators bleed“, sangen die Dead Kennedys 1985 in Jock-O-Rama – eine Textzeile, wie maßgeschneidert für Walter Payton, der als größter Running Back aller Zeiten in die Geschichte der National Football League (NFL) einging. „Er ist ein Gladiator“, sagte bewundernd Jim Brown, Paytons Vorgänger im Team der Chicago Bears.

Niemand hatte geglaubt, dass der für einen Running Back eigentlich zu kleine Spieler aus Mississippi den legendären Brown ersetzen könnte, doch Payton ließ den Ruheständler bald in Vergessenheit geraten. Schon 1977, in seinem dritten Profijahr, wurde er zum besten Spieler der NFL-Saison gewählt, noch heute steht er in acht Rekordlisten der Liga an der Spitze. Mit 21.803 Yards hat er die meisten Karriere-Yards überhaupt erreicht, mit 275 hält er den Rekord für erlaufene Yards in einem Spiel (1977 gegen Minnesota) und seine 16.726 erlaufenen Karriere-Yards erscheinen als Rekord für die Ewigkeit.

Was ihm an wuchtiger Statur fehlte, machte Walter Payton durch Zähigkeit, Ausdauer, schiere Energie und Aggressivität wett. Er war kein Running Back, der um die gegnerischen Abwehrhünen herumkurvte, sondern rannte furchtlos mitten in den Pulk hinein, wo es meist eine Weile dauerte, bis ihn die Kontrahenten von den Beinen holen konnten. Mit seinen permanenten Attacken schaffte es der Mann mit der Nummer 34 oft ganz allein, vollständige Defensivblöcke so nachhaltig zu ermatten, dass sie seinen Läufen gegen Ende des Spiels hilflos gegenüber standen. „Du kannst ihn nicht stoppen“, sagte resigniert ein Spieler von den New England Patriots, 1986 in der Super Bowl chancenlos gegen die Chicago Bears, „du kannst nur versuchen, lebend davonzukommen.“

Auf dem Spielfeld aggressiv und skrupellos, war Walter Payton privat ein umgänglicher Mensch, der deshalb und auch wegen seiner sanften, hohen Stimme „Sweetness“ genannt wurde. Darin ähnelte er seinem Teamkollegen Mike Singletary, einem tief religiösen Burschen, der dafür berüchtigt war, mit seinem Kopf gegnerische Helme zu zertrümmern und den Spitznamen „Samurai“ trug. „Er war ein leuchtender Punkt in jeder Dunkelheit, die aufkam“, sagt Singletary über seinen alten Freund Walter Payton.

Der Höhepunkt in beider Karriere war ein Tag, der für Payton alles andere als gut lief: der Super-Bowl-Gewinn 1986. Schon Wochen vorher waren die Teddybären in Chicago ausverkauft, und die ganze Stadt wirkte wie eine gigantische Ansiedlung von Stofftier-Enthusiasten, als sich die „Bears“ anschickten, den überheblichen New England Patriots von der Ostküste das Maul zu stopfen. „Das Athen Amerikas wird den Schweineschlächtern an einer Bushaltestelle in der Mitte unseres Landes zeigen, wie klassischer Football gespielt wird“, hatte der Boston Globe getönt. Die braven Patrioten wurden von Präsident Ronald Reagan und dem „sauberen“ Amerika unterstützt, während die Bears mit ihrem wüsten Coach Mike Ditka und dem bizarren Quarterback Jim McMahon als Punks des Football galten. So präsentierten sie sich auch im Video zu ihrem „Superbowl-Shuffle“, einem Rap, der sich zwei Millionen Mal verkaufte.

An den Shuffle, den sie dann bei der Super Bowl in New Orleans vollführten, wird in New England noch heute mit schweren seelischen Schmerzen gedacht. 46:10 gewannen die Chicago Bears, deren Held aber einmal nicht Walter Payton war, sondern der 300 Pfund schwere William „Refrigerator“ Perry. „Sweetness“ verbrachte einen eher bitteren Tag, für seine Verhältnisse erlief er nur wenige Yards, und ein Touchdown war ihm auch nicht vergönnt. Seine Reaktion auf die spielerische Flaute vor 80.000 Zuschauern im Stadion und 115 Millionen Amerikanern an den Fernsehschirmen war typisch für seine allzeit mannschaftsdienliche Einstellung. Payton lächelte nur und sagte: „Alles, was zählt, ist das Resultat.“ Endlich hatte er seinen Meisterschaftsring gewonnen, ein Jahr später beendete er seine Profikarriere, die 13 Jahre gedauert hatte. Am Montag starb Walter Payton im Alter von 45 Jahren an einer seltenen Leberkrankheit.

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