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Fluxus ist nicht tot!

Freundliche Provokation: In der Kunsthalle animiert Claus Böhmler zum An- und Ausmalen  ■ Von Hajo Schiff

Lange bevor an die Galerie der Gegenwart nur zu denken war, holte Hannah Hohl in der legendären Reihe „Standpunkte“ aktuelle Kunst aus Hamburg in die Kunsthalle. Damals, 1985 wars, stellte Claus Böhmler in diesem Rahmen aus; jetzt, 14 Jahre später, ist er der erste, mit dem die Reihe in einer zwar gewandelten, aber eigentlich nicht weniger distanzheischenden Kunsthalle neu belebt wird.

In zwei Räumen sind drei plakatbezogene Tische zu finden, Stühle laden zum Sitzen ein, Zeichenmaterial, Farben, Wasser und Stifte stehen herum, und vom Künstler gestaltete Hefte liegen aus. All dies ist nun aber nicht die typische Kunst der Neunziger, die so etwas wie eine Malschule nur zum Ansehen simuliert – die Dinge können wahrhaftig benutzt, die Hefte tatsächlich angemalt und umgestaltet werden. Jeder ist aufgefordert, einen schwarzen Schneemann, ein Zebra unter der Dusche oder andere irgendwie bekannte, doch seltsam kombinierte Umrisszeichnungen gestaltend zu kommentieren.

„Tätiges Sehen“ nennt der Künstler das, und das ist in seiner Simplizität schon wieder subversiv. Denn die hier erneut sichtbar werdende Leichtigkeit eines prozessualen Kunstbegriffs hat in dieser Form sonst im Kunstbetrieb kaum überlebt, wohl aber kräftig aus dem Hintergrund wirkend an den Kunstakademien. So ist Claus Böhmler seit 1973 Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Er wurde dies nur fünf Jahre nachdem er seinerseits sein Studium beendet hatte – und sein Lehrer war niemand anderes als Joseph Beuys. Und dass Kreativität oft als schierer Unfug beginnt, bevor sie sich dem sozialen Feld zu stellen hat, war und ist sicher ein Kerngedanke, der wesentlich über den Düsseldorfer Großmeister in die Kunst gelangte.

„Geknitter in der Fläche – Gewitter im Raum“ ist nicht nur eine schelmisch-großsprecherische Hoffnung auf die Wirkung ästhetischer Eingriffe, es ist ganz konkret ein Kommentar Claus Böhmlers zu den möglichen psychischen Folgen einer unordentlichen Bettdecke im über 55 DIN-A4-Seiten laufenden Abrissfilm, der zwei Kunsthallenwände füllt. Das Abreißen der Bildschicht aus Illustrierten oder Warenhauskatalogen mittels Klebestreifen zu einem Tesa-Film-Film war nur eine der medialen Umnutzungsideen, mit der die Fluxus-Kunst Energien freisetzte, wie sie heute gerne als Werbegag aufgeblasen werden und dann kurz leuchtend verpuffen.

Auch Videorecorder und Plattenspieler sind hier anwesend, doch besonders verwegen ist das Traktat zur Kunstrezeption. Da wird in freisinniger Semantik erklärt, dass Ver-Mittlung die Kunst aus der Mitte verdrängt, dass eine Über-Setzung des Bildes in Text sich schnöde über das Bild hinwegsetzt und es ersetzt und dass eine Re-Produktion als Zurück-Herstellung ein Vernichten ist. Deshalb hülfe nur noch der Nachvollzug: Nachziehen und Vollmachen mit Bleistift und Farbe.

Unabhängig von solch freundlichen Provokationen in den heiligen Hallen der Kunst ist es nicht ganz zufällig, dass gerade Claus Böhmler gerade jetzt den Anfang der neuen „Standpunkt“-Reihe markiert: Bei jemandem, der 1939 geboren wurde, lässt sich leicht ausrechnen, dass er soeben seinen 60. Geburtstag gefeiert hat. Dem Jubilar ist zu wünschen, dass sich noch viel mehr junge Künstler als bisher schon durch die querköpfigen Anregungen seiner Arbeit beeinflussen lassen. Wenn gesagt wird, Fluxus sei tot, mag das vielleicht für das Etikett gelten, nicht aber für das Gegen-den-Strich-Denken in der Kunst. Und einem solchen Kunstansatz angemessen wäre hier ein eher offener, prozessualer Text, einer, der dann einfach ganz plötzlich

„Claus Böhmler: Zeichenhefte zum An- und Ausmalen“, Kunsthalle (Altbau), bis 9. Januar 2000

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