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Schütteln und Backen

■ Henning Harnisch

Trash-Talk“, so nennt der Basketballer eine bestimmte Unterhaltungsform mit seinem Gegenspieler. Es ist ein Spiel im Spiel, ein Relikt der Straße, ein Spiel der Sprache und der Gesten; es ist außerparlamentarisches Kommunizieren und, im besten Falle, kreatives Handeln inbegriffen. Manchmal obszön – „Your Mama!“ –, manchmal direkt – „In Your Face!“ –, manchmal poetisch – „Shake and Bake“ –, liegt die wahre Kunst des „Trash-Talk“ darin, wie du, wem du, wann du was zu sagen hast. Und ob du es schaffst, deinen Gegenspieler so weit zu provozieren, dass seine antrainierte Maske der Vernunft einer offenen, fließenden Konfrontation weicht. Das Ziel ist der Dialog, nicht der Monolog.

 Die Kunst beim Trash-Talk ist, wie du, wem du, wann du was zu sagen hast

Erster Akt: Der Pass in deine Hände eröffnet das Spiel. Du winkst mit übertrieben energischer Geste die Mitspieler komplett auf die andere Spielfeldseite. Die Geste sagt: „Weg hier!“ Sie wird komplettiert durch ein trocken gerufenes „Mismatch!“, was so viel heißt wie „Weg hier, gebt mir den Ball! Eine Wurst spielt gegen mich!“ Der Eröffnungsreiz ist gesetzt. Zeigt dein Gegner keine Reaktion, macht er auf cool, dann fügst du ein energisches „Isolation! Clear out!“ hinzu, das wird genügen. Er wird wissen, dass er gemeint ist; dass er die Wurst ist; dass er der Grund dafür ist, Mitspieler wegzuwinken. Bist du dir deiner Sache sicher – er ist sehr angespannt – oder hast du einfach Spaß am Theater, dann verlängerst du den Eröffnungsakt: Du lachst ihn an, schaust ihm lange in die Augen, wendest abrupt den Blick ab, so als ob du etwas vergessen hättest, deine Augen liegen auf dem Ball, du streichelst ihn liebevoll, drehst ihn in deinen Händen, du atmest, gut vernehmbar, lange ein und sagst kurz und bündig: „I'm gonna score on you!“ („..., piece of shit!“)

Das Schauspiel geht in seinen zweiten Akt. Noch bewahrt der Gegner die Contenance, zwar ist er sehr, sehr gereizt, aber noch ist er nicht bereit, loszulassen. Also wirst du anfangen zu dribbeln, etwas unmotiviert, scheinbar, betont lässig durch die Beine, hinter dem Rücken, smooth bist du – Arschloch, denkt der Gegner –, jede Bewegung ein Affront; langsam wirst du schneller, dein Oberkörper unterstützt rhythmisch die Bewegungen des Balles und die der Beine – tack, tack, tack. Alles an dir ist jetzt cool. Kurz lässt du den Ball, wie einen Happen zum Schnappen, in Richtung Gegner fallen. Wenn er gierig danach greift – ein Zeichen seiner Aufregung –, ziehst du den Ball locker zurück, sagst lakonisch „You reach, I teach!“ und atmest kopfschüttelnd übertrieben – „Pfuuuh!“ – aus.

Zwei Sekunden sind vergangen. Noch immer weigert sich der Gegner, seinen Part zu spielen. Na gut, Akt drei. Du wirst ihn ein bisschen beleidigen, sein „weak game“ beschimpfen oder dich selbst ein wenig feiern: „Oh, I'm so nice!“ Und ihn fragen: „Wie willst du es haben: Wo soll ich lang, links oder rechts? Soll ich dunken oder soft zu dir sein, was ist dir lieber?“ Spätestens jetzt – ist die Halsschlagader nicht so weit gespannt, dass Reden ein Ding der Unmöglichkeit ist –, spätestens jetzt, wenn er denn kein Bibelleser ist, wird er aus ihm herausbrechen, der Strom der Affekte: „Oh, du saugst! Deine Mutter, bla, bla ... Komm, zeig mir, was du drauf hast. Ich fress dich auf, Sorryassmothafucka!“ Ein Dialog. Endlich. Der Schlussakt naht. Das Duell.

Taten müssen Worte und Gesten folgen. Also, Headfake, Täuschung links, Crossover nach rechts – Scheiße, der Mann kann ja verteidigen. Stutterstep, Wende – Verdammt, er ist gut! Verdammt, zu gut! Ah, fuck it! –, Sprungwurf, ungewollt rückwärts fallend. Die Hand des Verteidigers steigt synchron mit dem Ball – puh, gerade noch geschafft, geworfen. Der Ball fliegt. Er fliegt beschissen. Nach einer saumäßigen Flugkurve patscht er stumpf gegen das Brett. Korb und Netz sind in weiter Ferne.

„Klonk!“ ertönt klar die Stimme des Verteidigers, der jetzt ein Angreifer ist. Er läuft neben dir an der Seitenauslinie entlang. Dein Blick ist gesenkt, du möchtest allein sein. Aber nicht er, seine wirr verzückten Augen fressen dich auf, sie suchen deinen Blick. „Ein Brick!“ („Backstein!“) – es ist jetzt sein Monolog – „Oh, what a brick! Noch ein paar solcher Steine und du kannst dir ein schönes Haus bauen, har, har, Sorryasspussyassmothafucka!“ Vorhang.

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