Die mit den Händen reden

Heute und morgen feiern die Berliner Gehörlosen beim Gebärdensprach-Festival die Anerkennung ihrer Sprache. Höhepunkt ist der Wettbewerb um das „Goldene Händchen“. Für Sprachunkundige gibt es Dolmetscher    ■ Von Kirsten Küppers

Königin Sylvia von Schweden findet die Sprache so schön, dass sie sie selbst lernt. Und wenn man mal ehrlich ist, ist der flinke Gebärdendolmetscher das einzige, was einen bei den langweiligen Nachrichten auf Phönix bei der Stange hält. Stiefkind ist die Gebärdensprache trotzdem. Verbannt auf eine Bildschirmecke in zweitklassigen Fernsehkanälen, spült sie am Normalmenschen Knäuel possierlicher Gesten vorbei.

Über 10 Jahre musste die Gehörlosenbewegung dafür kämpfen, dass der Gebärdensprache ein Platz im Bildungsbereich und im öffentlichen Leben zugestanden wird. Für die rund 4.500 Berliner Gehörlosen ist das jetzt immerhin geschafft. Auf dem heute und morgen stattfindenden 4. Gebärdensprach-Festival freut man sich über diesen Gerechtigkeitsmeilenstein besonders: Das Abgeordnetenhaus hat im Mai dieses Jahres die Gebärdensprache mit der Verabschiedung des Gleichstellungsgesetztes als rechtsgültig anerkannt.

Darauf erstmal ein „Goldenes Händchen“. So heißt der Preis beim Wettbewerb für Kinder, bei dem das kunstfertigste Erzählen in Gebärdensprache prämiert wird. Denn beim Gebärdensprach-Festival, zu dem rund 700 Hörende und Gehörlose erwartet werden, geht es darum, die Gebärdensprachkunst, die eigene Poesie des Gehörlosenausdrucks auszuzeichnen. Dem besten erwachsenen Geschichtenerzähler winkt eine Goldene Hand“. Dafür muss der Kandidat 4 Minuten lang auftreten. Eine Jury wertet Qualität der Sprache, Inhalt, Witz, Kreativität und Rhythmus des Vortrages.

Zum ersten Mal sind beim Festival auch internationale Beiträge zugelassen. Weil die Gebärdensprache ähnlich wie Esperanto funktioniert, gibt es kaum Verständigungsprobeme zwischen italienischen, russischen oder deutschen Gebärdlern. Die Bewegungen unterscheiden sich vielmehr wie Dialekte untereinander. Wird eine Geste nicht verstanden, wird sie mit anderen Fingerübungen umschrieben.

Der Dialekte gibt es allerdings viele. Nicht nur auf Bayrisch und Plattdeutsch wird gebärdengequasselt, allein Berlin verfügt über eine Vielzahl differierender Handzeichen für dieselben Ausdrücke. So gab es in Ost- und Westberlin unterschiedliche Figuren für das Wort „Wollen“ – die Haupstadt bleibt auch gebärdlich die Summe ihrer Kieze.

Damit das Festival nicht nur die eigene Lobby bedient, werden die Auftritte der Kandidaten für die Zuschauer gedolmetscht. Auch das ist lohnenswertes Schauspiel. Denn „einige gut ausgebildetete Gebärdensprachdolmetscher gebärden sogar schöner und tiefsinniger als Gehörlose, weil sie die Sprache bewusster erleben und vermitteln. Und schon Gehörlose sind Fachleute und Meister der visuellen Kommunikation“, findet gar Jochen Muhs vom Kulturbüro der Gehörlosen.

Soviel Sebstbewusstsein war nicht immer. Im Mittelalter durften bei den Katholiken Gehörlose die heilige Kommunion nicht empfangen, weil sie, so dumpfte man, das Wort Gottes nicht empfangen hätten. Das ist trauriger Diskriminierungsschnee von gestern. Dass die Gebärdensprache eine tolle Sprache ist, haben inzwischen selbst viele Hörende entdeckt. Seit über 10 Jahren gibt es in Kurse in Gebärdensprache an Volkshochschulen und Universitäten. Einmal pro Woche hält die Evangelische Gehörlosengemeinde einen Gottesdienst in Gebärdensprache ab. Eben wurde ein eigener Chor gegründet, der gemeinsames Gebärden von Liedern und Musiken pflegt.

Handzeichen werden bei der Gebärdensprache wie Wörter verwand, allerdings in einer ganz eigenen Mixtur, die alle Möglichkeiten der räumlichen Anordnung nutzt. Mit deutschen Sätzen hat das nichts zu tun. Die Gebärdensprache hat eine eigene Grammatik, ist direkter, aber wie jede Sprache auch Moden unterworfen. Ständig müssen neue Gesten erfunden werden. Will man eine Scheibe Toast, ahmt man mit den Händen mechanisches Toasterschnappen nach, eine schraubenartige Bewegung bedeutet „Internet“. Namen übersetzt man mit charakteristischen Merkmalen der Person. Das können eine Frisur, eine originelle Nase oder aber Bilder im Namen selbst sein. So interpretiert Renate Scharlach von der Evangelischen Gehörlosengemeinde ihren Namen, indem sie mit den Fingern Pusteln am ganzen Körper andeutet.

Begleitet wird der Wettbewerb um die goldenen Hände auf dem Festival von Workshops, Diskussionsforen und künstlerischen Darbietungen. Glitzerndes Ende bildet morgen Abend die Party plus Videoshow. Den Ruch eines exotischen Orchideenverbandes behält die Gehörlosensprachgemeinde dennoch. Amerikanische Verhältnisse sind noch weit. In den USA ist etwa die simultane Übersetzung von TV-Programmen in Gebärdensprache völlig normal. Uns bleibt nur Phönix.

Gebärdensprach-Festival, heute und morgen im Gehörlosen-Zentrum, Friedrichstraße 12