: Eine unvergleichliche Schau
Der Wehrmachtsausstellung haben weder alte Kameraden, neue Nazis noch Bomben den Garaus machen können – einen Stopp haben Historiker erzwungen ■ Von Philipp Gessler
Berlin (taz) – Die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ ist ein voller Erfolg: Bis heute haben mehr als 800.000 Menschen überall in Deutschland und Österreich die Bilderschau besucht. Gelockt hat nicht nur das Thema, sondern vor allem der Streit um die Schau: So umstritten wie sie war bisher keine andere Geschichtssusstellung. Und vielleicht droht ihr nun sogar das endgültige Aus – ausgerechnet wegen fachlicher Mängel.
Darin liegt Tragik, denn bekämpft wurden die insgesamt 800 Bilder vor allem aus politischen Gründen. Die politischen Gegner der Ausstellung nutzten bei ihrer Kritik an der Schau stets die handwerklichen Fehler. Seit Beginn der Ausstellung vor viereinhalb Jahren kamen immer wieder Vorwürfe ans Tageslicht, die aber in der Regel widerlegt werden konnten oder doch zumindest umstritten blieben. An der Grundaussage der Wehrmachtsausstellung zweifelte kein ernstzunehmender Historiker: Das deutsche Heer verfolgte während des Zweiten Weltkriegs bei seinem Angriff in Mittel- und Osteuropa buchstäblich und auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers eine Strategie des „Vernichtungskriegs“. Die Ausstellung räumte mit einer der Lebenslügen der frühen Bundesrepublik auf, in der sich Zehntausende ehemaliger Frontsoldaten nicht sagen lassen wollten, dass sie für eine verbrecherische Sache in einer verbrecherischen Organisation getötet, gekämpft und gelitten hatten.
Nicht nur alten Kameraden stieß die Ausstellung auf – den Kampf um die Deutung des Feldzugs der Wehrmacht fochten viele Gruppen aus, erst dadurch wurde die Ausstellung zum Symbol. Am sichtbarsten war die Auseinandersetzung auf der Straße: Neonazis kämpften in fast allen Städten, in denen die Bilder zu sehen waren, mit Vehemenz gegen die Zerstörung ihres Mythos vom reinen deutschen Waffenrock – noch vor einem Monat demonstrierten etwa 200 rechtsextreme „Junge Nationaldemokraten“ in Osnabrück gegen die Schau. Wie fast überall waren auch hier wieder linke Gegendemonstranten da – Linke und Rechte prügelten sich mit der Polizei, auch das war auf der Städte-Tour üblich geworden. Nach zahllosen Drohungen gegen die Ausstellung kam es in Saarbrücken zum spektakulärsten Angriff: Eine Bombe verursachte im März dieses Jahres einen Sachschaden von rund einer halben Million Mark.
Gerade durch die Anschläge und die Demonstrationen aber wurde der Kampf in der politischen Arena eröffnet. Nicht nur bessere Lokalpolitiker vor allem konservativer Provenienz polemisierten gegen die Ausstellung – wie etwa der CDU-Fraktionsvorsitzende im Saarbrücker Stadtrat, Gerd Bauer, der in einer Zeitungsanzeige erklärte: „Wir lassen unsere Väter von diesen Ausstellungsmachern und ihren Hilfstruppen nicht unwidersprochen als Verbrecher und Mörder diffamieren.“ In Frankfurt am Main war die Ausstellung zwar in der symbolträchtigen Paulskirche zu sehen, aber die Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) blieb der Eröffnung fern. Immerhin begrüßten in Hamburg alle Fraktionen der Bürgerschaft die Schau – eine seltene Demonstration aller Demokraten.
Die Kritik der Fachhistoriker schließlich war immer zu hören, sie lief untergründig all die Jahre mit. Aber erst als der deutsch-polnische Wissenschaftler Bogdan Musial in der angesehenen Vierteljahresheften für Zeitgeschichte in neun Fällen eine falsche Zuordnung von Fotografien in den Bildlegenden nachweisen konnte, kam das, was alle Proteste nicht erreichen konnten: ein Stopp der Ausstellung. Jetzt geht selbst der Freiburger Historiker Wolfram Wette vom wissenschaftlichen Beirat des Vereins zur Förderung der Ausstellung davon aus, dass etliche Bildlegenden falsch sind. Doch selbst wenn sie bald wieder anlaufen wird, gilt schon jetzt die Wette: Ruhig wird es um die Ausstellung auch dann nicht werden.
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