Jetzt kommt dein Lied!“

Mit Tütensuppen, Antibiotika und einem altersschwachen Bus auf großer Fahrt. Ihre erste Tournee führte die Hamburger Punkbands Pankzerkroizer Polpotkin und Heimatglück vierzehn Tage lang durch die unabhängigen Jugendzentren Deutschlands und der Schweiz Von Jochen Funk

Mit dreißig Tütensuppen im Gepäck geht's los. Die Einemarkspezialität aus dem Asiashop wird in den nächsten zwei Wochen unverzichtbarer Bestandteil der Ernährung. Anderes scheint ein Relikt aus dem Kinderladen: Pommes, Kakao, Coca-Cola. Bloß keinen Kaffee. Ketchup auf allem, was haftet. Der Bus, „Straßensozialarbeit Rahlstedt“, befindet sich im Gegensatz zu den acht MusikerInnen eher am Ende seiner Karriere.

Das Arbeiter Jugendzentrum (AJZ) Bielefeld ist der erste Austragungsort. Über dem Eingang prangt eine mehrere Meter große Faust. Das Zentrum kann auf mehr als 25 spontan bis autonom verwaltete Jahre verweisen. Man hört Klopfen und Sägen: Hier wird einiges selbst in die Hand genommen. Koko gruselt sich vor dem „echt widerlichen Plumpsklo“, das sich als französisches Stehklo erweist. Am Abend schwant uns die erste Pleite, doch ab elf kommt noch so mancher Punk, Skin und Stinknormale. Hier und da Rastaanteile. Die AJZ-Disco füllt alle Pausen. „Die spielen hier Rammstein im Punkladen!“

Im Verkauf die Sonderausgabe zur so getauften „Panzerglück“-Tour, eine kleine 33er Vinylscheibe mit fünf Liedern, ordentlich scheppernd, aufgenommen im Übungsraum. Fünfhundert Stück werden zwei Wochen nach der Tour verkauft sein. Was das bedeutet, wissen nur Musiker, deren Matratze auf unverkauften Tonträgern ruht.

Allein schon das liebevoll gestaltete Cover ist mehr als den Preis von fünf Mark wert. „Kopf runter sieht besser aus“ heißt die Platte, auf der ein Comicvater seinem Kind patriarchalisch den Kopf nach unten drückt. Die Hardcore-Version enthält einen handbedruckten Musselinaufnäher mit aufgehängtem Mussolini, dessen Henkern der Spruch entlehnt sein soll. Entsprechend martialisch kommt die Hülle dieses Punkerzeugnisses daher. Größeren Platz nehmen allerdings die Texte ein – und die stehen zum ersten Eindruck in schönem Kontrast. „Gibt es Liebe“ oder „Es ist kalt geworden“ heißen sie und sind auch so. Von der Bühne werden einem diese Balladen dann gleichsam um die Ohren gehauen. So ist das mit den Gefühlen.

Wießmann ist aus Mülheim eingetroffen und ab jetzt für die Bedienung des Bandbusses zuständig. Seine Versuche, das marode Teil bei jedem Spurwechsel zu zerlegen, schlagen fehl. Kassel und das Autonome Zentrum Bazille werden ohne Verluste erreicht. Bazillen fangen jedoch auch in den Atemwegen der Protagonisten an zu wüten. Erste Arztbesuche und Antibiotikarezepte. „Na toll, während der Einnahme kein Alkohol!“ Der Laden ist vergleichsweise klein, aber vollständig ausgerüstet. Infoladen, Veranstaltungen, Volxküche. Heute: Tomatensuppe, Möhren-Apfel-Rohkost, Knobibrot und Pfirsichquark für fünf Mark.

Pankzerkroizer geben ihre Skanummer, ich sitze neben einem zusammengesunkenen Skin auf dem Boden. Sein Freund versucht ihn wiederzubeleben und rubbelt ihm zärtlich die Glatze: „Mensch, jetzt kommt dein Lied! Und du bist gar nicht mehr so fit?“ Wohl nicht. Jana sagt, Skins unterscheiden sich von Punks: Sie sind sauber angezogen und gehen arbeiten. Auf jeden Fall kaufen sie heute jede Menge Punkscheiben bei Stefan am Merchandising-Stand.

Leipzig ist das nächste Ziel. Wo war die Mauer? Gerüchte von rechten Punks mit bunten Haaren. Leipzig baut und ist voller Gemüseläden. Die Straßenbahn kostet nicht viel, man fährt aber schwarz. Zwei lustige Nächte, Fabriketage, Matratzenlager. Vor den Punks spielt eine russische Theatergruppe, professionell, aber unverstanden. Dann eine Ansage: In Bitterfeld wird ein besetztes Haus von Nazis angegriffen. Ob die Bands ihre Busse zur Verfügung stellen, um zur Hilfe zu eilen? Nein, zu viele Unklarheiten, der Bandbus ist geliehen. Die Veranstaltung wird fortgesetzt, mit gebremstem Schaum. Am nächsten Tag Beruhigung. Die Nazis warfen ein paar Mollies, die keinen großen Schaden anrichteten, es gab keine Verletzten.

In die Schweiz. Über die Grenze fahren wir nicht im Konvoi. Größere Kontingente werden vielleicht eher gefilzt. „Das ist nicht wie bei uns. Die nehmen alles auseinander!“, meinte Linn schon bei der Abfahrt. Wir kommen aber ohne Probleme und Autobahnvignette nach Luzern. In einer hübschen besetzten Villa am Stadtrand erwartet uns Elianna, Mitglied der Frauenpunkband Re-Sisters, die gerade in Hamburg ein gutes Konzert hingelegt haben. Sie organisiert den internationalen Tourabschnitt. Akzeptables Badezimmer, saubere Punker. Freie Tage. Im einzigen Punkladen kostet das Bier fünf Franken, da erübrigt sich die Frage, wer fährt. Tütensuppen, Fernsehen, Gespenstercomics. Kultvideos aus den frühen Achtzigern: brillante Statements der US-Punkband Dead Kennedies und der frühen Ruhrpottpunks. Damals noch alle ungelocht. Es gab ungepiercte Punks!

Morgens Einkauf. Jana erwirbt etwa fünfzehn Tafeln Schokolade, die sie vorgibt, noch nie gesehen zu haben. Im Romp Info Schallplattenladen wühlen die Musiker mal wieder in den Raritäten. Höchstens zu dreißig Prozent gleicht sich das Angebot der unkommerziellen Punkplattenläden, meint Bassist Jan. Eine Folge der vielen Kleinauflagen.

In der City gibt H.R. Giger, Aliens Erfinder, eine Vernissage. Er hat in der gesamten gepiercten Bevölkerung seine Fans, die Sache verläuft programmgemäß etwas schräg. Am Büffet händeweise Mettwursthäppchen, die isst der vegane Punk nicht, gibt sie aber seinem Hund; er lässt edlen Käse liegen und trinkt etlichen Rotwein. Der örtliche Fotograf vom Kurier darf den Hundertwasser-Stuhl mit Kind und Punk garnieren, man ist ja nicht unkooperativ. Merchandising hat auch Herr Giger aufgebaut und signiert auf Verkaufserfolgen, Stiefeln und Plakaten. „Heimatglück ist super!“ soll er für Koko schreiben. „Das ist meine Band“, klärt sie ihn auf.

Der berichtende Punk-Laie beginnt gefällige Qualitäten der Bands zu erkennen: Zweistimmigkeit zu herrlichem Krach, unerwartet filigrane Fingersätze. Spannend, wenn die Gitarristin nach dem Break die Drehzahl erhöht und mit prüfendem Blick auf den Schlagzeuger die letzten Reserven locker machen möchte. Und Pankzerkroizer. Zeige mir einer den Sänger, der mehr Kilometer zwischen Bühne und Publikum in unterschiedlichsten Start- und Landepositionen vermisst, unversehens zusammengekauert zwischen Kabeln und Ständern die negativen Seiten des Daseins unterstreicht, um dann – Refrain! – mit einem Satz die Bretter zu verlassen, während Bass, Schlagzeug und Gitarre sich so synchron in die Instrumente stemmen, dass es am Körper reißt.

In Zürich ist ein Haus für öffentliche Aktivitäten – Vokü, Veranstaltungskeller – und privates Wohnen okkupiert. An der Demarkationslinie der Nutzungsbereiche sind Barrikaden aufgestellt. Verschiedener Müll verweist auf ungeklärte Zuständigkeiten. Die Küche – diverses Gemüse nach Art des Hauses – ist exzeptionell, das Konzert gut frequentiert. Zwei Kids sprayen Tags; die Grenzwerte in dem flachen Kellergewölbe werden abrupt überschritten, nix für die verschnupften Combos. Das kann die Stimmung aber nur kurz trüben, die Nacht ist noch lang.

Nach ausgiebigem Frühstück starten wir Richtung Mannheim. An der Grenze Kontrolle, Fotoverbot. Vor Ort steuern wir das JUZE an, ebenfalls schon über 25 Jahre alt. Reis, Gemüse, Salat (auch Reis mit Scheiß genannt) zur Begrüßung. Ein paar Tage zuvor haben „Fascho-Glatzen“ das Zentrum überfallen, man sieht noch dicke Lippen. Neuer Ärger wird nicht erwartet, trotzdem tragen die drei festen Mitarbeiter Schlagstöcke und Intercomsysteme. Waffenkontrolle für alle anderen. Aus Hamburg sind wieder einige Fans eingetroffen.

Im Programm von Pankzerkroizer ist auch die Hymne der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands (APPD), deren Anhänger derartig lospogen, dass man den etablierten Parteien ein wenig von dieser Energie und Spaßbereitschaft gönnen möchte. Gitarrist Schwond fiebert und benötigt einen Schulmediziner, um weiter auf Tour zu bleiben.

Nach 27 Jahren hat die Initiative für ein autonomes Jugendzentrum von der Stadt Mülheim eine alte Reithalle und Zusagen über 2,5 Millionen Mark Renovierungsgelder erhalten. Das Objekt erscheint etwas groß, zwei- bis dreitausend Leute dürften hineinpassen. Das erforderliche Konzept für die Bewirtschaftung birgt sicher einigen Sprengstoff für die Initiative, sei es die Einrichtung von festen Jobs für bisher gemeinschaftlich gelöste Aufgabenbereiche oder die Ansprache eines weniger spezifischen, weil größeren Publikums. Wittert da wer ein Kalkül der Politik?

Immerhin hat der lange Atem nun zu sichtbaren Ergebnissen geführt. Logiert wird in einem ehemals besetzten Häuschen von Tengelmann, gleich gegenüber vom entsprechenden Markt. Inzwischen ist mit einem gültigen Mietvertrag Ordnung eingekehrt. Pizzaecke im Imbiss. Leider kein Bier, auch keine Tanke. „Muss auch nicht sein“, meint Nils. Ein paar Wannenbäder später, gegen zwölf, ist man auch so schon abgebrochen. Noch ein Blick auf die Eingemummelten: „Gleich komm ich und mach das Licht aus!“ Och nö, noch fünf Minuten!

Die Südanlage in Gießen beherbergt verschiedene WGs, im Keller Übungsräume, Kneipe und Veranstaltungsraum. Im Hinterhaus der Infoladen mit Café und Küche. Hier arbeiten Punks und Sharp-Skins (Sharp = Skinheads against racial prejudice), ihre gemeinsame Band Das Rind ist heute auch zu erleben.

Am nächsten Morgen um neun Aufstehen. Sechshundert Kilometer Fahrt zum Bauwagenplatz in Boltenhagen bei Wismar, direkt an der Ostsee. Die Zeit reicht für keine Tütensuppe. Ankunft im Dunkeln. Wider Erwarten verfügt der Platz über große feste Gebäude. Trotzdem weder Strom- noch Wasseranschluss. In einer alten LKW-Halle finden Goa-Partys statt. Marode Wachtürme aus DDR-Zeiten. Alternative Humusklos scheinen nicht mehr in Betrieb, man/frau scheißt mobil in „Toi Toi“-Plastikhütten. Viele Wohn-LKWs, optimale Wartungsmöglichkeiten in den alten Kfz-Werkstätten. Gute Küche: wohl schmeckende, unidentifizierbare Soße, Gemüse, Nudeln. Die letzte Nacht der Tour erzeugt bei allen extreme Partystimmung. Nebel am nächsten Tag. Abrechnung. Plattenverkäufe, Sprit, Gagen. Es bleibt noch ein kleines Plus zur Reparatur des geliehenen Schlagzeugs.

Jochen Funk lebt als freier Journalist in Bremen. Er ist Gelegenheits-Punkfan