: Der Sommer als Projektion
Verregnet, düster, grau in grau. November ist ein trister Monat. Die Wohnung ist verhangen. Was tun, damit das Gemüt keinen Kollaps bekommt? Überlebensstrategien in der trüben Jahreszeit ■ Von Kirsten Niemann
Eigentlich wollte Jeanette Pieper lediglich eine Wand im Flur anmalen. In einem hellen, freundlichen Rot. Fünf Stunden später war der Farbeimer leer, und jedes der drei Zimmer ihrer Wohnung hat nun eine leuchtend rote Wand. „Ich fand auf einmal meine Wohnung so trist – da konnte ich nicht mehr aufhören zu streichen, es war wie ein innerer Zwang.“ Kein Wunder: Wir haben Anfang November.
Wenn die letzten Balkonpflanzen ermattet in den Kästen gammeln und die Bäume vor dem Fenster langsam kahl werden, ist es Herbst. November – Zeit des Dauernieselns, Fröstelns und der Depressionen. Dabei haben wir den Winter in all seiner prachtvollen Länge ja noch vor uns, und – das Schlimmste – die Reisekasse ist leer.
Was kann man tun, um seine Stimmung in der trostlosen Jahreszeit ein wenig aufzuhellen? Ganz einfach: Dekorieren Sie. Verrücken Sie Möbel, streichen Sie Wände, putzen Sie ihre Fenster, machen Sie es sich schön und zelebrieren Sie das Stubenhocken, so gut es geht. Man kommt eh nicht drum herum.
„Die Herbst-Deko liegt zur Zeit doch auf der Straße“, findet Ulla Ziegler. Auch wenn es sie Überwindung kostet, zwingt sich die 37-jährige Fotografin manchmal vor die Tür. Spuren ihrer Streifzüge finden sich anschließend in ihrer Wohnung: Auf der Fensterbank in der Küche grasen friedliche Rehe, Hasen und Elche aus Kastanien. Die Wände zieren kunstvolle Collagen aus orangefarbenem Laub und im Backofen schmurgelt ein Kompott aus Äpfeln, Birnen und Rumrosinen. Einen stressigen Arbeitstag rundet Ulla Ziegler mit einem Glas Rotwein ab. Oder besser: „Mit Glühwein, Kerzenschein und Sex in der Badewanne.“
Guido Groß fürchtet in Herbst und Winter dagegen nichts so sehr wie das Frieren. Er zelebriert die kalte Jahreszeit, indem er sich ganz dem Zündeln an seinem Kachelofen hingibt. „Ofenheizung ist zwar ein wenig unpraktisch, aber viel gemütlicher als Zentralheizung.“ Wenn das Feuerchen lodert, lässt er gerne die Ofenklappe eine Weile offen. „Dann bilde ich mir ein, es wäre ein Kamin.“ Sein Tipp: „Man kann diesen Effekt unterstützen, indem man nicht chemische Anzünder zum Feueranfachen verwenden, sondern Holz. Das riecht einfach besser.“
Offenes Feuer und gedämpftes Licht sind die beliebtesten Wohlfühlstrategien. „Die grelle Flutung von der Decke bringt den Sommer schließlich auch nicht zurück. Wenn es draußen ungemütlich wird, hebe ich meine Laune, indem ich die Beleuchtung in meiner Wohnung der Jahreszeit anpasse“, sagt Anita Naumann.
Ihre Lust am Funzeln stillt die 28-jährige Kosmetikerin zum Beispiel, indem sie farbige Glühbirnen in die Lampen schraubt. Einen Kerzenvorrat hat sie sich auch schon angeschafft, für die indirekte Beleuchtung von Fernseher und Zimmerlinde. „Am besten gefallen mir die Duftnoten Fichte und Zimt. Die wirken auf mich therapierend.“ Die Schlafzimmerdecke hat Anita mit fluoreszierenden Himmelskörpern garniert. „Eine Dekoration, die sich im Sommer ja gar nicht richtig lohnen würde.“
Kachelofen, Glühwein, Kastanienzoo und Laubsammlung – allein der Gedanke verursacht bei anderen schon Frust. „Ich finde den Sommer viel geeigneter für Kerzenschein“, sagt Matthias Schnabel, ein Sommermensch und Verachter jeglicher Wintergemütlichkeit. „Im Sommer hat die Flamme immerhin den Nebeneffekt, dass sie die Mücken killt.“
Der 38-Jährige würde den Herbst mit seiner Melancholie und Tristheit am liebsten abschaffen. „In Mailand zum Beispiel, da ignorieren sie Herbst und Winter einfach. Nur kann man das bei uns kaum. Schließlich beschränkt sich bei uns die schöne Jahreszeit auf knapp vier Monate.“ Matthias Schnabel macht sich den November erträglich, indem er ihn einfach nicht an sich heranlässt. Sich zum Beispiel die Balkonfreuden des Sommers ins herbstliche Wohnzimmer holt. Und das geht so: „Ich habe mir neulich bei Blume 2000 ein paar Yucca-Palmen gekauft, meine Heizung voll aufgedreht, ein T-Shirt angezogen und mir einen Campari-O-Saft gemixt.“ Und dabei vielleicht noch an die Karibik gedacht.
Den kommenden Winter ausschalten, indem man in Erinnerungen an den Sommer schwelgt. Und sich dabei – wie zu Zeiten der Laterna magica – der schönen alten Menschheitstradition befleißigt, im Dunkeln Bilder anzugucken. Dafür braucht man nichts weiter als einen Projektor, mit dem man seine Urlaubsdias an die kahle Wand wirft. Sollte das penetrante Brummgeräusch des Projektors nerven, kann man es mit alten Salsa-Platten übertönen.
Doch es geht auch anders: Die Journalistin Sabine Meier hat sich eine Schiene aus Holz gebaut, in die sich zehn Urlaubsdias schieben lassen. „Hinter jedes Dia habe ich ein Teelicht gestellt.“ Gemütlich. Fast so schön, wie unter der wohligen Wärme einer Wolldecke vor der guten alten Laberlampe zu hocken: Der Fernseher macht nämlich auch schönes Licht.
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