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■ Das große K: Jörg Fausers Berlin-Roman „Das Schlangenmaul“

Berlin-Buch-Boom ohne Ende: Die Literatur hat Berlin praktisch mit dem Mauerfall zu ihrer Hauptstadt erklärt. Doch auch vor der Wende gab es zahlreiche Berlin-Romane, im Westen genauso wie im Osten. In unregelmäßigen Abständen werden wir hier in den nächsten Monaten Berlin-Romane von den Fünfzigern bis zu den späten Achtzigern vorstellen.

Sie haben Jörg Fauser zu Lebzeiten sicher oft verfolgt, Zuschreibungen wie „Bukowski-Epigone“, „Burroughs-Adept“, „Post-Beatnik“ und dergleichen mehr. „Geschichten aus den unwirtlichen Winkeln, dem zwielichtigen Untergrund unserer Gesellschaft“ habe er geschrieben, hieß es dann auch in der FAZ in einem Nachruf, nachdem Fauser 1987 morgens um vier auf einer Autobahn von einem Lkw überfahren worden war.

Liest man aber seinen 1985 erschienenen Berlin-Roman „Das Schlangenmaul“, ist die Perspektive eine andere als die von ganz unten. Erwartungsgemäß ist hier Westberlin zwar auch die Stadt, in der sich die Verlierer schlecht und recht eingerichtet haben. Doch die meisten Figuren in dem Roman sind gesellschaftliche Funktionsträger: Kunstkritiker und Boulevard-Journalisten, aktive und gescheiterte Politiker, ihre Handlanger und ihre Frauen, Werbeagenten, die auf Fundamentalopposition machen, mürrische Kommissare und Steuerbeamte.

Fauser beschreibt in „Das Schlangenmaul“ eine ganze Gesellschaft im (Prä-)Stadium ihres Untergangs, ganz (West-) Berlin macht bei ihm den Eindruck einer verlorenen, kaputten und kranken Stadt; „eine City, die nach Luft schnappt, und ringsherum eine Kloake, wo die Ratten besser leben als die Menschen, servus“, wie Fauser einer seiner Protagonisten sagen lässt.

Basierend auf einer Reportage, die Fauser 1984 im Tip über verschwundende Frauen schrieb, begibt sich sein Held Harder im Westberlin der frühen Achtziger auf die Suche nach einem jungen Mädchen. Harder ist 38 Jahre alt, pleite, Ex-Journalist und „Bergungsspezialist für außergewöhnliche Fälle“ – ein nicht untypischer Fauser-Held also, der natürlich das Leben zwischen Puff und anderen Spelunken kennt, sich so seine Gedanken über die Kantstraße macht („nachts das Paradies der flüchtigen Träume, tagsüber der Ku'damm des kleinen Manns“) und über seine Berlin-Initiationen auf dem Bülow-Kiez spricht („Tropfen in den Asbach, dann traten die Nutten auf, und irgendwann kam das Opfer im Hof zu sich und das Scheckheft war weg, oder die Uhr, oder die Hose, man war nicht wählerisch“).

Doch seine Suche führt ihn schnell auch in Außenbezirke wie Kladow und Lübars, in Bürgervillen und Senatskreise, in den Schweizerhof und die Paris Bar, in eine obskure „Farm für freie Entfaltung“ und ein Institut für psychosoziale Praxis.

In Letzterem wohnt Harder einer Soiree bei. Das Publikum: „ein Drittel Kunst, ein Drittel Business, ein Drittel Schnorrer, fließende Übergänge zum Irrenhaus und Staatssicherheit“. Hier stellt ein Vertreter des Senats eine eigenartige, vom Kultursenat mit ins Leben gerufene „Kommission für die Koordinierung kultureller Kommunikation, kurz KKK“ vor, und hier erlebt Harder anschließend eine nicht weniger eigenartige Schlangenshow.

Durchgeknallt, neurotisch, auf Eso-Trip, ziemlich daneben: so stellt sich das Westberlin Harders an vielen Ecken dar. Die Stadt selbst ist bei Fauser eine Metapher für den zwielichtigen Untergrund, „ein Mythos am Tropf, eine Subventionsmaschine, eine Schmiergeldmetropole“, wie es Harders Gegenspieler erklärt, ein gewisser Malzan, der es auch mit dem Buchstaben K hat: „das große K, verstehst du, Korruption als Kult, als Kommunikation, als Kunst“.

Harder versucht sich da zwar bei seinen „Bergungsarbeiten“ so weit wie möglich rauszuhalten, doch er weiß auch, dass er bestens in dieses Westberlin der frühen Achtziger passt. Er ist ein „Pragmatiker“, kein Moralist, und, wie Fauser in einem Interview gesagt hat, „ein Mann, der sich niemals als Außenseiter betrachten würde“.

Am Ende aber – das Mädchen ist gefunden, der Fall erfolgreich gelöst – siegt bei ihm doch noch die Moral, und er zerreißt den Scheck seiner Auftraggeberin mit den Worten „Der ist leider faul“. Gerrit Bartels

Jörg Fauser: „Das Schlangenmaul“. Ullstein Taschenbuch, 272 Seiten, 14,90 DM

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