piwik no script img

Plädoyer für soziale Rechte

Die Bundesregierung hätte nach Wirbelsturm Mitch über ihre Entwicklungsstrategie nachdenken sollen, meint die Menschenrechtsorganisation FIAN  ■   Von Katharina Koufen

Berlin (taz) – Stunde null in Zentralamerika: Anfang November 1998 standen zwei Millionen Menschen vor ihren zerstörten Häusern, Werkstätten, Maisfeldern. Die Region war durch Wirbelsturm Mitch um Jahrzehnte in ihrer Entwicklung zurückgeworfen worden. Von Wiederaufbau war überall die Rede. Doch wie sollte der aussehen? Wollte man die alten Verhältnisse wieder herstellen? Oder könnten die ins Land fließenden Hilfsgelder zu einem Wiederaufbau mit sozialer Gerechtigkeit beitragen?

Ein Jahr später ziehen die Menschenrechtsorganisation FIAN und die Heinrich-Böll-Stiftung Bilanz. Trotz des Besuchs von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) im Katastrophengebiet habe es keine echte Wende in der deutschen Zentralamerikapolitik gegeben, so der Autor der Studie, Martin Wollpolt-Bosien.

FIAN setzt sich dafür ein, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen (WSK) Menschenrechte in den Kriterienkatalog der Entwicklungszusammenarbeit aufgenommen werden. Bislang gilt, was das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 1991 formuliert hat: Achtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevölkerung, Rechtsstaatlichkeit und die Schaffung einer marktfreundlichen und sozial orientierten Wirtschaft. Als Indikatoren nennt das BMZ: Freiheit von Folter, Rechtssicherheit, Religionsfreiheit, Minderheitenschutz.

Die Achtung der Menschenrechte stehe zwar an erster Stelle, beschränke sich aber auf die bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte, kritisiert Wollpolt-Bosien, der hinzugefügt sehen möchte: Recht auf Arbeit, auf Ausbildung, auf Gewerkschaftsgründung, auf Teilnahme am kulturellen Leben sowie das Recht für Bauern, eigenes Land zu besitzen.

Das BMZ hält dieser Kritik entgegen, dass die WSK-Menschenrechte zwar nicht explizit genannt würden, implizit aber in der armutsorienten Entwicklungsstrategie enthalten seien. Das reiche aber nicht aus, meint der Autor der Studie und nennt einen typischen Fall für die Verletzung politischer Menschenrechte: den Mord an Bischof Gerardi im Mai 1998 in Guatemala. „Quasi selbstverständlich“ sei dieses Verbrechen bei Verhandlungen mit Guatelmala vor einem Monat von der deutschen Regierung moniert worden. „Wieso prangert sie nicht genauso selbstverständlich an, was vor zwei Jahren auf einer Länderei des jetzigen Präsidentschaftskandidaten geschah?“ Damals wurden 32 Arbeiter entlassen – weil sie eine Gewerkschaft gründen wollten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen