: Nostalgisches unter der HBV-Laterne
■ Die Sängerin Lale Andersen ist Bremerhavens berühmteste Tochter. Das Stadttheater hat dem „Spatz vom Weserdeich“ nun eine Nummern-Revue von wechselvoller Qualität mit einer überragenden Darstellerin gewidmet
1969 nahm sie die „Times“ in die Liste der bekanntesten Persönlichkeiten des Jahrhunderts auf. Heute ist ihr Ruhm so verblasst, dass die Jüngsten mit dem Namen Lale Andersen kaum etwas anzufangen wissen. Dies soll sich jetzt in ihrer Heimatstadt ändern. Das Stadttheater erinnert mit einer One-Woman-Show an jene Bremerhavener Göre, die im Berlin der Nazi-Zeit als Schlagersängerin Karriere machte und mit dem Lied „Lili Marleen“ allen Soldaten diesseits und jenseits der Front die Herzen gewärmt hat. Die Premiere am Wochenende – im restlos ausverkauften Theater im Fischereihafen – war ein glänzendes Solo für die Schauspielerin Christel Leuner, die in zwölf Rollen auftritt und dem „Spatz vom Weserdeich“ glaubwürdig ihre Stimme verleiht.
1966 beendete die 61-jährige Lale Andersen ihre Karriere mit einer Serie von Konzerten in Berlin. Zum letzten Auftritt – so die Stückidee – versammeln sich Wegbegleiter ihres Lebens, aber der Abend ist gefährdet, da alle Darsteller im Stau stecken geblieben sind. Das ist die große Stunde der Ankleiderin, die vom Intendanten kurzerhand vors Publikum geschickt wird.
Der Mann am Flügel (Peter Stolle) wartet schon, Christel Leuner zieht mit dem Garderobenwagen auf die Bühne – eine Theatermauer mit Kassenhäuschen und kitschig blauem Himmel darüber. Dann steigt sie in Hosen, zieht sich Mantel oder Trenchcoat über, hantiert mit Stöcken und Hüten, und verwandelt sich so in Lales Manager, Lales Pianisten, Lales Geliebten, in Fans aus Berlin und anderswo.
Regisseur Marcus Staiger, der dieses musikalische Schauspiel „Lale Andersen – Goodbye Memories“ nach einer Idee von Chris Kurbjahn zusammen mit dem Bühnenbildner Ulv Jacobsen bearbeitet hat, orientiert sich nicht an Fassbinders bekanntem Film „Lili Marleen“, in dem Hanna Schygulla als Lale keinerlei Wärme zulässt. Ihn interessiert nicht die ambivalente Geschichte einer NS-Mitläuferin, nicht ihre gescheiterte Beziehung zu dem jüdischen Freund Rolf Liebermann (beide haben sich während des 3. Reiches gegenseitig das Leben gerettet). Er inszeniert statt dessen eine Schlagerparade, eine Nummern-Revue. Staiger lässt die verschiedenen Figuren knappe biografische Hinweise einstreuen und verbleibt damit genau auf der Oberfläche, auf der sich auch Lale Andersen selbst bewegt hat. Das ist durchaus fein, mit Tempo und ironischem Witz in Szene gesetzt. Das lebt von Leuners Wandlungsfähigkeit und von ihrem Witz, mit dem sie etwa als Ankleiderin das eigene Alter ohne jede Koketterie souverän ausspielt. Das erreicht seinen Höhepunkt, wenn sie Hans Albers mimt und eine Lale-Lied im Albers-Stil zerdehnt. Aber es wird peinlich, wenn sie sich an Marlene Dietrich vergreifen muss, die ebenfalls das „Lied von der Laterne“ aufgenommen hatte und hier in einer Kurz-Szene als hämische Konkurrentin gezeigt wird.
Christel Leuner ist gezwungen, die freche Berlinerin, die 1937 in die USA emigrierte, fast grölend zu zersingen. Nein, so wird die blonde Seemanns-Tochter Liselotte Helene Bunnenberg alias Lale Andersen nicht aufgewertet. Sie lebt weiter in den Sehnsuchts-Schnulzen von der „Blauen Nacht am Hafen“ und vom Seemann aus Shanghai, der nach drei Tagen Landgang schon wieder verschwunden ist. Diese Lale ist ein sentimentales, bittersüßes Bremerhavener Schmuddelkind, das sich für Brecht, Tucholsky und Ringelnatz interessierte, aber immer etwas anderes darstellen musste.
Andersen wusste genau um ihre „Mittelklasse“. 1966 notiert sie im Tagebuch: „Warum gebe ich meiner Indifferenz nicht ein paar kräftige Ohrfeigen und mache Schluß? Ja, wenn die Andersen eine so unbändige Begabung wäre wie die Piaf, die Dietrich und heute Hildegard Knef. Würde ich je gesagt haben: alles hersehen zu mir, hier ist der Mittelpunkt, auf den sich alles zu konzentrieren hat, hätte das bestimmt keine andere Wirkung gehabt als einen riesigen Heiterkeitsausbruch. Ich selbst hätte wahrscheinlich am lautesten gelacht.“
Das alles – und noch mehr – wird im Programmheft erzählt, weshalb es (Dramaturgie: Petra Hofmann-Paczkowski) eine unentbehrliche Ergänzung darstellt. „Lale Andersen – Goodbye Memories“ endet mit dem ohrwurmigen Lied von der Laterne, Lales Schicksalslied, an das sie zeitlebens gebunden blieb. Wenn Christel Leuner zum Schluss unter die leuchtende Laterne tritt, ist jede Ironie verflogen. Wird so der Abschiedsschmerz hörbar, den viele im Krieg mit diesem Lied verbunden haben? Oder wird da ein nostalgischer Schein auf die Vergangenheit gelegt, getreu dem Titel eines anderen Lale-Liedes: „Alles Illusion – aber schön“?
Christel Leuner rettet das schwache Stück mit ihrem Charme und Temperament über alle Untiefen hinweg. Peter Stolle begleitet sie – souverän und elegant – am Flügel. Zurück bleibt ein Stück Bremerhavener Lokalgeschichte, für die vielen Älteren unter dem Premierenpublikum eine Erinnerung an den Spatz vom Weserdeich, der viel lieber ein Mädchen von Piräus sein wollte. Ein Mädchen, das immerzu auf ein Schiff wartete, das irgendwann kommen wird. Hans Happel
10., 17. und 30. November um 20 Uhr im Theater im Fischereihafen (TiF). Karten unter 0471/93 23 30
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