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Konstruktionslinien

Radikal raffiniert: Anthony Coleman mit „Sephardic Tinge“ im Westwerk  ■ Von Felix Klopotek

Schütteres Haar, ein kleiner Bauch, angetrunken, zerknittertes Jackett und im Gesicht etwas müde – so einer wie Anthony Coleman wird schnell übersehen. Im voluminösen „Penguin Guide to Jazz on CD“ findet sich unter seinem Namen kein Eintrag. Und wer von den zahlreichen Fans der berüchtigten New Yorker Downtown-Szene um John Zorn weiß, dass Anthony Coleman von Anfang an, seit über 20 Jahren, dabei war? Gleiches gilt für die ebenfalls von Zorn ins Leben gerufene New Radical Jewish Culture: mit den ersten klanglichen Manifestationen dieser Idee aus – grob gesprochen – Klezmer, Jazz, freier Improvisation und Noise war auch Coleman wieder around.

Aber, s. o., Coleman ist einfach nicht der Typ für die großen, glamourösen Gesten. Trotzdem ist der Pianist und Keyboarder umtriebig, spielte in diversen Gruppen und Projekten um, na wen wohl?, John Zorn, mischte bei den Jazz Passengers und der Punkband God Is My Co-Pilot mit, arbeitet seit Jahren im Duo mit dem Saxophonisten Roy Nathanson und ist in dem Free Jazz-Projekt Sanctuary des Trompeters Dave Douglas zu hören. Ein Sideman der Avantgarde.

Gehört Coleman also in diese Reihe der wenig geliebten, aber viel gebrauchten Jazzarbeiter? Gut, die Frage ist rhetorisch, denn es ist natürlich seine eigene Musik, die ihn in jeder Hinsicht über den Durchschnitt hebt – und es sind seine feinen Geschichten, etwa wenn er erzählt, dass Herbie Hancock von spanischen Juden abstammt... Während Kollegen wie Marc Ribot oder eben Zorn die Position des linken NYer Intellektuellen, der um die Hybridität seiner eigenen (ethnischen) Identität weiß und seine Neurosen reflektierend auskostet, hysterisch definieren, so bevorzugt Coleman ruhigere, raffinierte Töne. Das geht ganz einfach – und wird dann höllisch kompliziert.

Coleman fängt irgendwo an. Sein Produzent (Sie ahnen, wer das ist:) John Zorn möchte von ihm irgendwas mit Jazz und jüdischer Kultur, am besten innerhalb des Formate des klassischen Pianotrios (Piano + Bass & Schlagzeug). Coleman steht nicht auf Klezmer, also greift er auf die Musik der sephardischen, jenen einst aus Spanien geflohenen und Ladino sprechenden Juden zurück. So weit, so einfach. Aber Coleman koppelt diese Strategie an eigene Erfahrungen zurück. Er hat jahrelang in einer Latinocommunity gelebt und deren Musik, Eddie Palmieri, Francisco Ulloa, genossen, ohne sie eigentlich zu kennen – genauso wie es ihm jetzt mit der sephardischen Musik ergeht. Das führt ihn zur Jazztradition, als so unterschiedliche Komponisten wie Jelly Roll Morton oder Thelonious Monk spanische oder besser: „spanische“ (Tanz-)Musik für ihre Kompositionen faketen – und zur Geschichte der ost-jüdischen Emmigranten, die vor 40, 50 Jahren zu Mambo und Cha-Cha tanzten.

So passiert es, dass ein zerwühltes Monk-Cover auf eine beiläufig gespielte Jelly-Roll-Morton-Komposition trifft, dass sephardische Melodien Rhythmuspattern à la Eddie Palmieri (aber gespielt wie von einem angestaubten, klassischen Pianotrio!) aufsitzen und sich zu freien Improvisationen öffnen. Man kommt langsam dahinter, dass die Behauptung, Hancock stamme von spanischen Juden ab, gar nicht so weit hergeholt ist.

Egal ob mit dem heute auftretetenden Trio Sephardic Tinge oder mit seinen Selfhaters, die auf aufklärerisch-ironische Weise den angeblichen Selbsthass der Juden und der Jazzer dekonstruieren – Coleman spielt diese fragilen Musiken mit einer Lässigkeit und einer charmanten Ruppigkeit, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als ihn dafür zu lieben. Authentizitistisch ist die Musik zu keinem Zeitpunkt: Wer glaubt, Coleman würde mit seiner Musik an einer Historisierung arbeiten und auf Authentizität zielende Wurzelsuche betreiben, hat schon verloren. Denn jede (historisch-musikologische) Linie, die er zieht, durchkreuzt er auch wieder und macht sie dadurch als konstruierte kenntlich.

heute, Westwerk, Einlass 21 Uhr

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