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Die Stadt ist wild“

■  taz-Serie „Neu in Berlin“ (1): Die Creativ-Direktorin Dagmar König will die ungeschminkte Realität erleben, um so bessere Werbung zu machen

Dagmar König, 34 Jahre alt, Creativ-Direktorin, seit Mai in Berlin: Vorher war ich in Hamburg bei der Agentur, die die „Lucky Strike“-Werbung macht. Aber dann hat sich die Schweizer Agentur Weber, Hodel, Schmid (WHS) entschieden, nach Deutschland zu gehen, und sich für Berlin entschieden. WHS macht die Smart-Werbung oder „Ich bin doch nicht blöd“ für den Media-Markt. Die Agentur hat lange darüber diskutiert, ob der Standort Berlin richtig ist oder ob man lieber nach Hamburg gehen soll. Zur Zeit sitzen da ja noch die meisten Kreativagenturen. In Düsseldorf und Frankfurt sind noch die großen Network-Agenturen. Aber die machen die gleiche Werbung wie schon seit zwanzig Jahren. Berlin ist der Standort der Zukunft. Eine Stadt, die nicht gesättigt ist, die lebt. Als kreativer Mensch brauche ich solche Einflüsse. Berlin ist außerdem ein Traum, was Architektur angeht. Man muss ja nur einmal den Kopf kreisen lassen und sieht ganz unterschiedliche Sachen. Allein die Karl-Marx-Allee. So etwas gibt es in anderen deutschen Städten nicht. Ich finde es richtig, dass DDR-Bauten erhalten werden. Überall werden Clubs aufgemacht, Bars, Restaurants. Die Kunstszene kommt nach Berlin. Hier ist das Leben anstrengender, aber auch aufregender. Ich wohne jetzt in Treptow, dort macht man mit den Menschen andere Erlebnisse als im reichen Hamburg-Eppendorf. Wenn ich in Treptow einkaufen gehe, erlebe ich soziale Unterschiede, die groß sind. Da sind die paar Zugezogenen, die können mal eben groß im Supermarkt einkaufen gehen. Und dann erlebt man neben sich eine alte Frau, die nicht mehr als zehn Mark in der Tasche hat. Man sieht es ja auch an der Kleidung und den Gesichtern der Menschen. In Hamburg sind Menschen, die weniger Geld verdienen, in irgendwelche Stadtteile verbannt, wo man sie nicht wahrnimmt. In Berlin ist man viel mehr an der Realität. Und das ist auch wichtig, um realistische Werbung zu machen. Man möchte die Menschen damit ja auch erreichen. Grundsätzlich macht die Stadt mutiger als Hamburg, ungewöhnliche Ideen vorzustellen. Westberlin alleine war seltsam, erst mal konnte man nicht in die Natur fahren, und die Alternativszene fand ich immer unrealtistisch, verstaubt und rückständig. Jetzt ziehen ganz andere Menschen nach Berlin. Die Stadt ist einfach wild. Seitdem ich hier wohne, trage ich wieder Turnschuhe“ Aufgezeichnet von Annette Rollmann

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