: Korrespondeten auf Mauersuche
■ Das Leid mit dem Mauerfall
Im Ausland werden wir Deutschen immer noch verkannt als pflichtbewusste Langweiler, deren Land auch zehn Jahre nach dem Mauerfall von einer (unsichtbaren) Mauer beherrscht wird. Dabei sind wir doch – zumindest seit deren Wegfall – ein offenes, buntes Völkchen. Die regionalen Unterschiede zwischen Ost und West dürften dabei durchaus als Bereicherung zu sehen sein.
Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer. Viele Ausländer, allen voran Korrespondenten, haben so ihre Probleme, die Veränderungen auf die Reihe zu kriegen. Das liegt weniger an der deutschen Sprache als daran, dass sie die Mauer am liebsten, zumindest bis zu ihrem Redaktionsschluss, wieder auferstehen lassen würden.
Noch nie kam man so in Erklärungsnot wie in diesen Tagen, wenn man nicht wie aus der Pistole geschossen mindestens drei Ostler nennen konnte, die möglichst spektakulär geflohen sind. Auch die Tatsache, nicht mit der Telefonnummer von Katrin Gueffroy aufwarten zu können, deren Sohn das letzte Maueropfer war, wirft ein schlechtes Licht auf die Redaktion. Natürlich wäre es irre für die Leser in der weiten Welt, wenn ihnen zum Jahrestag des Mauerfalls ein Dauer-Nostalgie-Party feierndes Ostvolk präsentiert würde. Doch glücklicherweise erlaubt die Produktion von Club-Cola nur einige wenige dieser Partys pro Jahr. Schade nur, dass die Ostler noch immer hinterm Mond leben und keiner auf die Idee kam, eigens für die ausländische Presse eine Party zu veranstalten. Einzige Ausnahme ist Schabowski, der schlaue Hund. Der hat vor zwei Wochen eine Pressekonferenz eigens für die Auslandspresse gegeben, auf der er die Mauer noch mal aufgehen ließ. So hatte er weniger Termine und die Korrespondenten ihre Bilder.
Doch nicht allen Korrespondenten konnte so einfach geholfen werden. Verzweifelt legte ein italienischer Kollege den Hörer auf, der wissen wollte, „wo denn dieses Hotel im Osten ist, in dem man noch mit DDR-Mark bezahlen kann“. Sicher gibt es in Zittau seit dem 7. Oktober dieses Jahres ein Hotel, das mit Zimmernamen wie „VEB Fettchemie“ und Vitrinen mit DDR-Andenken Kundschaft anlocken will. Nur zahlen die Gäste dort nicht mit DDR-Mark, sondern mit 1:4 getauschter West-Mark. Nur wie hätte man ihm erklären sollen, dass das nur ein alberner Fake ist? Außerdem hätte er dort nur Kollegen getroffen. Ostler sind noch nicht so weit, dass sie wieder Gefallen daran finden, von platzierenden Kellnerinnen angeblafft zu werden.
Ein Journalist aus Argentinien hatte sich einen originelleren Zugang zum Mauerfall-Jubiläum ausgedacht. „Ich suche einen Argentinier, der aus der DDR geflohen ist“, teilte er in perfektem Deutsch mit. Klar, in Buenos Aires wird das Ereignis im fernen Deutschland viel begreiflicher, wenn ein Landsmann dabei gewesen wäre. „Tango im Fluchttunnel“ wäre zugegebenermaßen ein guter Titel. Nur leider konnte auch diesem Kollegen nicht geholfen werden. Zumal ein Argentinier mit seinem Pass ziemlich unproblematisch aus der DDR hätte ausreisen können, oder?
Bollwahn de Paez Casanova
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen