Der Heimatlose

■ Der vielseitige Posaunist Ray Anderson macht dem Dixieland Beine

Von der Avantgarde-Koryphäe Anthony Braxton direkt zur kreuzfidelen Funkband Slickaphonics: Was einem unbescholtenen Jazzhörer Anfang der 80er wie der Quantensprung vorkommen musste, war für den Posaunisten Ray Anderson nur ein kleiner Schritt. In der Folge konnte man dem furiosen Blechbläser und charmanten Gelegenheitssänger in fast allen denkbaren Zusammenhängen zwischen Freejazz und Pop, zwischen wohlkalkulierten eigenen Projekten und eiligst anberaumtem guest starring, zwischen Improvisation und Dienst nach Vorschrift wiederbegegnen und seine Vielseitigkeit verkraften lernen.

Die Trios von Ray Anderson – ob das eher in sich gekehrte Bass-Drum-Bone mit Mark Helias und Gerry Hemingway oder das vorlaute namenlose mit Christy Doran und Han Bennink – waren Zumutungen im allerbesten Sinne. Ebenso das großmeisterliche Posaunenquartett mit George Lewis, Craig Harris und Gary Valente. Bloß in der Alligatory Band, einer ziemlich jazzrockig auftrumpfenden Combo mit fast schunkeliger Bodenhaftung, schien er zuletzt ein wenig zu schwächeln.

Nun hat Anderson mit Lew So-loff (Trompete), Matt Perrine (Sousaphon) und Bobby Previte (Schlagzeug) die Pocket Brass Band formiert, also den Nukleus einer Blaskapelle in althergebrachter New-Orleans-Tradition, und mit Where home is eine raffinierte Platte vorgelegt: Willkommen in Dixieland – dem die vier aber Beine machen wie noch nie! Die Parallelführung im Bläsersatz ist atemberaubend, die Soli zünden, Previte zaubert. Und über allem liegt Andersons Überzeugungstäterschaft, die den Wirkungsgrad der Besetzung scheinbar mühelos himmelwärts potenziert. Und das nicht nur bei den unbezwingbar fröhlichen Schmetternummern, sondern auch in einem lupenreinen Trauermarsch.

Die musikalische Verausgabung ist enorm, denn um nichts weniger als das ganze Leben scheint es diesem Quartett zu gehen. Und, wie der Plattentitel proklamiert, um die Frage nach dem wahren Zuhause. „If ever I had a home, it was a slide trombone“ lautet Ray Andersons Antwort. Damit liegt er richtig.

Andreas Schäfler

Sa, 13. November, Birdland, 21 Uhr