In Fußballland

■ Christoph Biermann

Dies ist eine traurige Geschichte, denn in ihr geht es um eine enttäuschte Liebe – und was ist schon trauriger als das. Dabei hatte alles so überschwänglich angefangen, im Sommer vor drei Jahren, als es den Offenbacher Kickers wieder einmal ziemlich schlecht ging, eigentlich sogar hundsmiserabel. Aber Krisen, Enttäuschungen, Abstürze und geplatzte Träume sind am Bieberer Berg so sehr zu Hause wie die trotzige Anhänglichkeit, mit der die Fans sie aushalten. Damals waren sie ganz unten angekommen, der OFC spielte in der Oberliga Hessen, was die vierte Klasse ist, die Gegner kamen aus Würges, Flieden, Battenbach oder – oh je – aus Wehen.

 Erwin Kostedde war zurück: Erst ließ er sich feiern, dann kam sein Anwalt

Doch gerade angesichts dieser sportlichen Depression wollten einige Fans ihrer ungebrochenen Zuneigung Ausdruck geben. Sie beschlossen, Material für eine CD über ihren Klub zu sammeln, etwaige Gewinne sollten den Jugendteams zukommen. Zumeist sind solche Tonträger billiger Schund für den Merchandisingkatalog, doch hier war das anders. Sechzehn Lieder wurden aufgenommen, jedes ein eigenes Statement, das zu hören sich lohnte. Zugleich wurde „Hier spricht der Bieberer Berg“ zur wundervollen Hommage an einen der legendären Spieler des Vereins. „Neue Lieder über Erwin Kostedde und die Offenbacher Kickers“, hieß es im Untertitel, und einige Songs drehten sich tatsächlich nur um den Torjäger aus der besten Bundesligazeit der Kickers. Erwin Kostedde, der erste Schwarze im deutschen Nationaltrikot, hatte danach das Leben nicht mehr von der Sonnenseite erlebt. Der Ruhm und das Geld von einst waren zerronnen, vage Hoffnungen an ihre Stelle getreten, die Parallelen zwischen dem Schicksal des Mittelstürmers und dem des Klubs waren unübersehbar.

Erwin nannte sich auch das Fanzine, aus dessen Umkreis die Organisatoren der CD kamen, und selbstverständlich wollten sie mit Kostedde Kontakt aufnehmen. Der erklärte sich anfangs gleich bereit, ein Grußwort für die CD aufzunehmen, ließ Termine jedoch mehrfach kurzfristig platzen. Im Sommer 1997 schließlich, die Platte war längst erschienen, kündigte er plötzlich seinen Besuch in Offenbach an. Er sei gerade auf dem Weg nach Frankreich, wo er einen Trainerjob in Aussicht hätte, erklärte Kostedde. Auf dem Sofa im Erwin-Büro ließ er sich fotografieren. Man sieht auf diesem Bild, dass er einen schicken silberfarbenen Anzug trägt und ein Heft in die Kamera hebt. Nachdem das Foto gemacht war, lieh er sich noch 500 Mark und ging seines Wegs.

Später kam er noch einmal zum Bieberer Berg, und die Leute von Erwin bemühten sich darum, ihrem Erwin einen großen Bahnhof zu verschaffen. Er wurde auf dem Rasen geehrt, die Fans bejubelten ihn, im VIP-Raum wurde der rote Teppich ausgerollt. Die CD und das Fanzine ließen auch einige Zeitungen aufmerksam werden, es gab kleine Geschichten und im WDR-Fernsehen einen Film über den Stürmer: „Erwin im Abseits“. Hier und da bekam Kostedde Geld für die Interviews.

Im Spätsommer 1998 reichte Erwin Kostedde gegen die Macher von „Hier spricht der Bieberer Berg“ Klage wegen Unterlassung und Schmerzensgeld ein. Ganz offensichtlich würde bei dieser CD mit Kostedde geworben, hieß es. Einige Wochen nach Beginn dieser Saison wurde das Verfahren vorm Landgericht in Darmstadt per Vergleich beendet. Die Beklagten willigten ein, weil sie ihre Anwaltskosten und die des Gerichts in der nächsten Instanz auch im Falle des Erfolgs zunächst hätten zahlen müssen. Kostedde hatte nämlich Prozesskostenbeihilfe beantragt, weil er die finanziellen Mittel für den Rechtsstreit nicht aufbringen konnte. Der Vergleich brachte ihm 2.000 Mark ein, und die 500 Mark von einst hat er auch nie zurückgegeben.

Was ist nun trauriger an dieser Geschichte? Die Enttäuschung derer, die für ihren Enthusiasmus am Ende bezahlen mussten. Oder ist es die unglaubliche Verlorenheit, die darin liegt, dass Erwin Kostedde für ein paar Mark alle Freundlichkeit, allen Respekt und alle Zuneigung, die ihm entgegengebracht wurden, abgeschüttelt hat wie einst lästige Verteidiger?