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Frischzellen und Fahnenflucht aus der Volksarmee

■ Das Verfassungsgericht lud nach Karlsruhe zu öffentlichen Show-Verhandlungen ein

Karlsruhe (taz) – Eigentlich war es etwas absurd. Das Bundesverfassungsgericht das bis zu zehn Mal pro Jahr öffentlich verhandelt, lud die BürgerInnen zu zwei öffentlichen „Gerichtstagen“ ein. Mehr als tausend Menschen nahmen daraufhin an insgesamt sechs mündlichen Verhandlungen teil und hatten das Gefühl, etwas ganz Besonderes gesehen zu haben. Neu war in den letzten zwei Tagen vor allem die hochkonzentrierte Form der Verhandlung. Jeder Fall wurde in rund 90 Minuten aufbereitet, während sonst mindestens ein Tag benötigt wird. Ausgewählt hatte man sechs Verfassungsbeschwerden aus dem „Alltagsgeschäft“, so die Präsidentin des Verfassungsgerichts Jutta Limbach. Anlaß der Aktion war der 50. Geburtstag des Grundgesetzes.

Rund 98 Prozent der etwa 4.500 Klagen, die pro Jahr beim Gericht eingehen, sind Verfassungsbeschwerden, das heißt Klagen von BürgerInnen, die sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen. Wie diese im Normalfall behandelt werden, konnte das Publikum beim „Gerichtstag“ aber gerade nicht sehen. Üblicherweise werden sie in Kammern von drei RichterInnen entschieden, wobei diese bei der Entscheidung nicht an einem Tisch sitzen, sondern lediglich Akten von Büro zu Büro weiterreichen. Nur rund 30 Verfassungsbeschwerden pro Jahr werden wirklich in einem Senat mit acht RichterInnen behandelt. Die jetzt präsentierten Fälle stellten eine bunte Mischung dar: ÄrztInnen, die sich auf Frischzellentherapie spezialisiert haben, wehrten sich zum Beispiel gegen ein Verbot dieser Therapieform. Kriegsopfer aus den neuen Ländern fühlten sich diskriminiert, weil sie weniger Entschädigung erhalten, als Kriegsopfer aus dem Westen. Und ein ehemaliger Soldat der Volksarmee wollte, daß seine Fahnenflucht als Akt politischen Widerstands anerkannt wird. Die Richter gaben sich alle Mühe, verständlich in die Fälle einzuführen. Eine Notarin aus Bonn war ganz begeistert: „Ich bin jetzt neu überzeugt von unserer Justiz.“ Es lohnte sich allerdings nicht, auf ein Urteil zu warten. Dieses wird erst Wochen später verkündet.

„Das war der Auftakt dafür, künftig öfter solche Fälle mündlich zu verhandeln“, erklärte Jutta Limbach, nachdem die Verhandlungen abgeschlossen waren. JournalistInnen allerdings sehen solche Gerichtstage mit gemischten Gefühlen. Das große Angebot an interessanten Fällen stellt für Zeitungen und Rundfunk einfach eine Überforderung dar. Christian Rath

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