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Wo Frauen Platte machen

■ Obdachlos in Hamburg: Als erstes Bundesland hat die Hansestadt eine geschlechtsspezifische Studie in Auftrag gegeben Von Heike Haarhoff

Wie alle Märchen besitzt auch das von der progressiven Sozialbehörde einen gewissen Wahrheitsgehalt: Als erstes Bundesland läßt Hamburg in diesem Winter eine seit Jahren geforderte geschlechtsspezifische Statistik obdachloser Menschen erstellen. Ziel der Erhebung ist, flächendeckend für das Stadtgebiet zu erfassen, wieviele Männer und Frauen – unterteilt nach Alter und Geschlecht – wie lange „Platte machen“. „Bisher gab es nur die unterschiedlichsten Schätzungen der Behörde und verschiedener Verbände. Weil die Zahlen zwischen 500 und 5.000 Obdachlosen schwankten und niemand genau sagen konnte, wer diese Personen eigentlich sind, war es äußerst schwierig, adäquate Hilfsangebote zu schaffen“, begründete Sprecherin Christina Baumeister gestern den sensationellen – wenn auch späten – gemeinsamen Vorstoß von Sozialbehörde und Wohlfahrtsverbänden.

Denn für die Umsetzung des jetzt vorliegenden Konzepts – erstellt von einer Arbeitsgruppe aus Bahnhofsmission, Caritas, Rotem Kreuz, Diakonischem Werk, Sozialbehörde und Statistischem Landesamt – reden sich frauenpolitische Verbände seit Jahren den Mund fusselig. Ohne genaue Zahlen, so ihre Kritik, ließen sich keine zielgruppenspezifischen Angebote planen. Das soll sich nun ändern: Mit der Untersuchung beauftragt wurde die Uni-Forschungsstelle Vergleichende Stadtforschung unter Leitung der Soziologie-Professoren Hermann Korte und Jens Dangschat. Im Januar sollen Studierende ihres Seminars „Armut und Obdachlosigkeit in Hamburg“ wohnungslose Menschen in Tagesaufenthaltsstätten, „Suppenküchen“, der Bahnhofsmission und anderen niedrigschwelligen Anlaufstellen sowie vor Ort auf der Straße befragen. Die Erhebung erstreckt sich über eine Woche, um zahlenmäßige Schwankungen an bestimmten Tagen auszuschließen. Parallel dazu sollen eventuell Initiativen und Wohlfahrtsverbände um ihre Schätzungen gebeten werden. „Natürlich können wir nie ausschließen, daß es zu Doppelzählungen kommt. Aber es geht darum, der Gesamtzahl möglichst nahe zu kommen“, so Baumeister. Das genaue Forschungsdesign wird jetzt erarbeitet, die Mittel – 20.000 Mark aus dem Topf der Sozialbehörde – sind bereits bewilligt. Im Februar sollen die Daten von der Uni ausgewertet und Ende März in einen Endbericht einfließen.

Frauen- und obdachlosenpolitische Verbände von GAL über den Frauentagestreff Kemenate bis hin zum Arbeitskreis Wohnraumversorgung begrüßten gestern die Hamburger Initiative, „wenn es auch sehr überrascht, daß uns davon bisher nichts mitgeteilt wurde“, sagt die sozialpolitische GAL-Sprecherin Anna Bruns. Abzuwarten bleibe jetzt, welche Konsequenzen aus der Studie gezogen würden. Schwierigkeiten sehen die Verbände auch darin, daß es keine einheitliche Definition von Obdachlosigkeit gibt. Das erschwere die Vergleichbarkeit. Bezweifelt wird auch die Höhe des Etats gemessen an der Aufwendigkeit der Studie. „Den hat die Uni selbst so veranschlagt“, widerspricht Baumeister. Aus Bonn wünschten Sozial-, Bau- und Gesundheitsministerium „viel Glück bei dieser diffizilen Erhebung, für die auf Bundesebene leider kein Geld da ist.“

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