: Hundert Trecker tuckern gegen Atomkraft
■ Gerhard, wie sind wir? Um 12 Uhr startet die Stunk-Parade am Ernst-Reuter-Platz
25 km/h. Das ist die Spitzengeschwindigkeit eines Treckers und Albtraum eines jeden Autofahrers, wenn er nicht überholen darf. Rund 100 dieser Landmaschinen haben sich mit Bauern aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg auf dem Bock gestern für die Stunk-Parade 99 auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft zu demonstrieren. Bis zu 10.000 Teilnehmer erwartet die Veranstalterin, die Bäuerliche Notgemeinschaft in Lüchow, zur „Gerhard, wir kommen“-Demo.
Gegen Mittag wird der Traktortreck am Ernst-Reuter-Platz erwartet. Von dort geht es weiter über den Breitscheidplatz zur Tauentzienstraße und über die Kleiststraße zum Großen Stern. Vor dem Brandenburger Tor kann noch mal richtig Vollgas gegeben werden. Weiter geht es Unter den Linden zum Neptunbrunnen, dem Endhaltepunkt. Gegen 16 Uhr soll die Demo beendet sein.
Die Berliner Anti-Atomkraft-Bewegung wird heute aber wohl nur spärlich vertreten sein. Seit Jahren leiden die Aktivisten unter mangelndem Nachwuchs. Das Anti-Atom-Plenum gibt es zwar noch, die letzte größere Aktion, die Anti-Castor-Blockade am Bahnhof Zoo, liegt aber schon einige Zeit zurück.
Bei der BUND-Jugend hat sich erst im Sommer der Arbeitskreis Atom aufgelöst. Hier beschränken sich die jungen Umweltschützer jetzt auf einzelne Aktionen wie die „Atomstrom ist gelb“-Kampagne. Einer, der hier mitgemacht hat, sagt: „Die kommen, wie sie Lust und Laune haben. Von festen Organisationsstrukturen kann keine Rede sein.“
Jens-Peter Steffen vom IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs) sieht Berlin in einer Sonderrolle: „Hier gibt es keine Atomanlagen. Es ist schwerer, Leute zu mobilisieren, als im Westen, wo die Anti-Atomkraft-Bewegung viel größer ist.“ Es sei immer so gewesen, das Einzelpersonen, Multiplikatoren, die Fäden in die Hand genommen hätten. Die aber würden immer älter, engagierten sich mehr in der Familie oder am Arbeitsplatz als in der Anti-Atom-Bewegung. Steffen: „Dabei versandet einiges.“
Der Trend setzt sich bundesweit fort: Wolfgang Kühr vom Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz macht die Zersplitterung der Bewegung dafür verantwortlich: Die einen wollten etwas für Solarenergie, die anderen etwas für Windkraft tun.
Selbst wenn heute 10.000 kommen, ein Erfolg ist das noch nicht. Vor 20 Jahren zogen die Wendland-Bauern zum ersten Mal aus. Damals beteiligten sich über 100.000 Menschen an dem Marsch auf Hannover. IPPNW-Sprecher Steffen: „Wenn 25.000 oder 30.000 kommen, dann können wir von einer Wiedergeburt der Bewegung sprechen.“
Thorsten Denkler
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