Schottland hat mehr vom Ball ...

... aber England mehr vom Tor. In der EM-Qualifikation scheint nach dem 0:2 das heiße Briten-Duell schon vor dem Rückspiel entschieden  ■   Aus dem Hambden Park Ronald Reng

Glasgow (taz) – Noch heute kann man Craig Brown, den Trainer der schottischen Fußball-Nationalmannschaft, singen hören: „Mein Traum wurde wahr.“ Das Vergnügen ist allerdings den wenigen vorbehalten, die sich die Schallplatte mit besagtem Titel von der Gruppe Hammy and the Hamsters aus den 60er-Jahren aufbewahrt haben; Leadsänger damals: Craig Brown. Diejenigen, die dem 59-jährigen Brown am frühen Samstagabend im Glasgower Hampden Park lauschten, hörten ihn nur reden. Und schon der Ton seiner Spielanalyse – ein kratziges Moll – verriet: Eine neue Version von „Mein Traum wurde wahr“ ist höchst unwahrscheinlich. 0:2 verlor Browns Team gegen den historischen Rivalen England das Hinspiel um die Qualifikation zur Europameisterschaft 2000. Schottlands Spielführer Colin Hendry sagte über die Chancen für das Rückspiel am Mittwoch knapp: „Dazu bräuchte es schon eine lächerlich beeindruckende Leistung.“

Mit soviel Hysterie und Übertreibung war das zweiteilige Duell aufgebauscht worden. Neben solch interessanten Details wie Browns Hamster-Vergangenheit förderte etwa die Glasgower Boulevardzeitung Daily Record in ihrem „24-Seiten-Special zum Match des Jahrtausends“ selbstanalytisch zu Tage, die schottische Nation müsse wegen ihres „Verfolgungswahns“ behandelt werden: „In zwei Fußballspielen wollen wir rächen, was uns die Engländer in einem Jahrtausend antaten.“ Ob die Zeitung heute wie 1996 bei der letzten Niederlage gegen die Engländer wieder ein „Zwölf-Seiten-Kummer-Special“ bringen wird?

Die aufgestaute Erwartung entlud sich kaum in einem wilden Kampf. Dabei fanden die englischen Spieler zunächst überhaupt nicht den Takt – vor dem Anstoß jedenfalls, bei der Nationalhymne. 24 Posaunen- und sechs Tuba-Bläser spielten „God Save The Queen“, aber nur zehn Meter neben der Kapelle war kein einziger Ton mehr zu hören. So laut pfiffen 47.000 Schotten unter 52.000 Zuschauern im ausverkauften Park.

Zweimal schlich sich Englands offensiver Mittelfeldspieler Paul Scholes unbeobachtet in den gegnerischen Strafraum – einmal mit dem Fuß (21. Minute), das andere mal mit dem Kopf (41.) brachte er den Ball ins Tor. Zum ersten Mal seit Kevin Keegan im März ihr Trainer wurde, spielten die Engländer als Mannschaft, nicht als Ansammlung von Individuen. Von Sol Campbell, der sich dank seines aufmerksamen Stellungsspiels permanent und souverän vom Außen- zum Innenverteidiger und zurück verwandelte, bis zum fleißigen Mann in der Mitte, Jamie Redknapp, könne er heute „jedem einzelnen Spieler sagen: Ja, du hast deine Rolle gespielt“, sagte Keegan, „das ist das Schönste.“

Vor allem für ihn selbst, denn zunehmend wurde der beim breiten Publikum beliebte Trainer von Fachleuten für die banalen Auftritte seiner Elf kritisiert. Zuletzt von Andy Roxburgh, dem Technischen Direktor der Uefa, der meinte, Keegan sei „anders“ als sein Vorgänger: „Glenn Hoddle hatte eine klare, strategische Linie.“ Ein bisschen Hoddle war in Glasgow wieder zu sehen.

Schottland hatte deutlich mehr vom Ball. Doch Browns Team hatte zu viele Spieler hinter dem Ball, demnach zuwenig Anspielstationen nach vorne. Um den rührigen Antreiber John Collins herum tauchte im Mittelfeld ein Mitspieler nach dem anderen ab. Einen Klassemann hat Schottland in Paul Lambert, das wurde offensichtlich, weil er am Samstag fehlte. Der verletzte Ex-Dortmunder hätte anders als sein Vertreter Barry Ferguson oder Kapitän Hendry Gegner Scholes vermutlich nicht solchen Raum zur Entfaltung gegeben.

So aber scheint schon vor der Entscheidung in London alles entschieden. „Die Schotten haben im Rückspiel einen Berg zu besteigen“, sagte Keegan: „Aber wenn das einer schaffen kann, dann sie: Sie haben ja in Schottland genug Berge zum Üben.“

Draußen vor den Umkleidekabinen zitierte fast zeitgleich des Gegners kleiner Stürmer Billy Dodds, der eine der zwei großen schottischen Torchancen vertan hatte, trotzig ein britisches Sprichwort: „Es ist nicht vorbei, bis die fette Lady gesungen hat.“ Tatsächlich haben die meisten dieses Duell schon abgeschrieben – ein Fernsehsender kündigte auf seiner Werbetafel im Hampden Park bereits eilig das nächste an: Miss England gegen Miss Schottland, demnächst bei der Miss-World-Wahl. Siehe auch: Wahrheit

Schottland: Sullivan, Weir, Ritchie, Dailly, Hendry, Ferguson, Dodds, Burley, Gallacher (82. Burchill), Hutchison, Collins

England: Seaman, Campbell, Adams, Keown, Neville, Beckham, Redknapp, Scholes, Ince, Owen (67. Cole), Shearer.

Zuschauer: 50.132

Tore: 0:1 Scholes (21.), 0:2 Scholes (42.)