: Von Null auf 900 Jahre in fünf Sekunden
■ Zwischen Krieg und Kommerz: Das Oldenburger Museum für Vorgeschichte erhellt die wechselvolle Geschichte Nordwestdeutschlands von Augustus bis Karl dem Großen
Komisch: Sammelbände, in denen Aufsätze den Titel „Die Gürtelgarnitur aus Grab SN 19b von Bremen-Mahndorf. Byzantinische Mode an der Weser“ tragen, finden sich nie in den Spiegel-Bestseller-Listen wieder. Nicht einmal dann, wenn weitere Texte wie „Die 'Flasche' von Kirchweyhe“ lokale Politfarcen in Aussicht stellen oder Überschriften à la „Der Schatzfund von Lengerich: Hort eines römischen Offiziers?“ ein geradezu thrilleskes Flair umgibt.
Allein: Vieles erklärt sich, wenn man vernimmt, dass besagter Sammelband das Begleitbuch zu einer archäologischen Ausstellung ist. Archäologie? Wir kombinieren: kaputte Vasen, verrostete Schwerter und verbeulte Kelche, die verstaubte Menschen zusammen getragen haben, um der Welt Erkenntnisse über eine Zeit zu vermitteln, die noch weiter zurück liegt als der schon in Vergessenheit geratene gestrige Tag. Wer aber in diesen Tagen das Staatliche Museum für Naturkunde und Vorgeschichte in Oldenburg betritt, wird verwundert sein, was er in der dortigen archäologischen Ausstellung geboten bekommt. Jede Menge kaputte Vasen, verrostete Schwerter und verbeulte Kelche, allerdings zusammengetragen von den überhaupt nicht verstaubten Museums-ArchäologInnen Heike Aouni und Frank Both. In der hehren Absicht, die Geschichte Nordwestdeutschlands von der römischen Kaiserzeit bis zum Frühmittelalter anhand von Ausgrabungsfunden zu rekonstruieren. Auf dass wir neuzeitlichen Menschen begreifen, dass Weltgeschichte, ob sie nun wie einst von Akteuren in Sandalen oder wie heute in Gucci-Schuhen gemacht wird, sich in der Substanz nicht sonderlich unterscheidet.
In dieser Ausführlichkeit ist diese knapp 900-jährige Zeitraum hierzulande noch nicht präsentiert worden, wozu zahlreiche Leihgaben unter anderem aus französischen, Münsteraner, Bonner und Kölner Museen das Ihre beigetragen haben. Dennoch genügen, je nach persönlicher Fitness, vier bis fünf Sekunden, um diesen gewaltigen Zeitraum gelassenen Schrittes hinter sich zu bringen. Eine knapp zwanzig Meter lange, begehbare „historische“ Straße, wo alle geschichtsträchtigen Keilereien von der Varusschlacht bei Osnabrück (16 n. Chr.) bis zu den Sachsenkriegen am Ende des 9. Jahrhunderts verzeichnet sind, führt an diversen Schaukästen mit kaputten Vasen, verrosteten Schwertern ... vorbei mitten durch die Geschichte eines gewaltigen Imperiums aus der Perspektive eines Grenzgebietes. Denn die germanischen Stammesgebiete rund um Oldenburg waren lange das, was in Gallien allenfalls ein kleines Dorf mit berühmten Zaubertrank für sich reklamieren konnte: unbesetzte Zone, die sich erfolgreich allen Eroberungsversuchen der nördlich vom Rhein stecken gebliebenen Römern erwehren konnte.
Doch der Römer, nicht dumm, wechselte alsbald die Strategie. „Make business, not war“, hieß die neue, erheblich erfolgreichere, auch heute nicht unbekannte Devise. Die Germanen konnten so auf ihren sumpfig-unwirtlichen Parzellen den Chef mimen, so lange sie dafür Sorge trugen, dass der Außenhandelsüberschuss des römischen Reiches anwuchs und der römische Bedarf an Leder und dem ein oder anderen Sklaven befriedigt wurde. Ein reger Tauschhandel trat an die Stelle hässlicher Keilereien, der sich durch zahlreiche Funde von – genau! – kaputten Vasen zwischen Wilhelmshaven und Oldenburg archäologisch belegen lässt.
Zum ökonomischen Transfair gesellte sich mit den Jahrhunderten auch der kulturelle. Die Römer machten nicht nur die schöneren (kaputten) Vasen, auch kunsthandwerklich, modisch und bautechnisch hatten die Invasoren den SumpfbewohnerInnen einiges voraus. Von der Gürtelschnalle bis zur Bodenheizung war vieles für die Germanen von Interesse. Diese schlossen sich im Gegenzug clanweise der römischen Armee an, gaben lukrative Gastspiele an diversen Fronten in Europa und hatten so, wenn sie denn heile zurückkehrten, einiges gesehen von der Welt und römischer Eroberungskunst und Dekadenz (auch das wiederum belegbar durch rostige Schwerter, die sich in Gräbern germanischer Adliger mit römischen Waffenarsenal als Grab-beilagefanden). All das wert-volle Erfah-rungen für eigene Expansionsbestre-bungen etwa in der Mitte des 5. Jahrhun-derts, als ein Großteil der hiesigen UreinwohnerInnen nach Britannien auswanderten.
Nur die BremerInnen hielten der entvölkerten Region die Stange, vermehrten sich gar kräftig und sorgten gemeinsam mit Friesen und Niederländern dafür, dass im 7. Jahrhundert rund um Oldenburg wieder menschliches Leben anzutreffen war. Womit nebenher bewiesen wäre, dass jeder Niedersachse im Kern ein Bremer sein könnte. Was auch immer daraus zu folgern ist.
Mit Karl dem Großen endete diese Jahrhunderte währende Koexistenz. Christentum und Militär fanden zur bekannt unheiligen Allianz, eroberten im Namen des Herrn, was das Kreuz hielt, und legten den Grundstein dafür, dass bald jedes nordwestdeutsche Dorf an die Stelle eines heidnischen Kultplatzes eine Holzkirche in den Mittelpunkt des Gemeinwesens rückte. Was auch immer auch daraus zu folgern ist. zott
Die Ausstellung ist bis zum 21. November im Museum für Naturkunde und Vorgeschichte (Damm 34-38) zu sehen. Infos: 0441/92 44 306. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (34 Mark).
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