Russland führt Krieg gegen das Volk

betr.: „Schweigen ist falsch“, taz vom 11. 11. 99

Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung entfesselte das demokratische Russland bereits zum zweiten Mal einen Krieg gegen die Tschetschenische Republik Itschkeria. Der Bomben- und Raketenhagel trifft wieder zumeist die Häuser der Zivilbevölkerung. [...] All das wird durch die Tatsache verschlimmert, dass es sich hier um einen aufgezwungenen und künstlich herbeigeführten Krieg der politischen Elite Russlands handelt, die damit – wenn auch nur für kurze Zeit – ihre völlige Diskreditierung zu kaschieren versucht. [...] Die Tatsachen sprechen für sich.

Alle Hoffnungen auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Moskau und Grosny wurden mit russischen Bomben und Raketen vernichtet. Die auf dem Marktplatz von Grosny explodierten Raketen haben das Gerede russischer Militärs und Politiker über die angeblich so „zielgenauen“ Schläge ihrer Truppen Lügen gestraft. So ein Vernichtungsschlag gegen Zivilisten wie auch die pausenlose Bombardierung von Städten und Dörfern Tschetscheniens kann als Kriegsverbrechen eingestuft werden.

Neuerdings versucht Moskau, Präsident Maskhadow die Legitimität abzusprechen. In den von russischen Truppen besetzten Teilen Tschetscheniens wird das Diktat militärischer Kommandaturen eingerichtet; die von Putin eingesetzte Marionettenregierung hat schon begonnen, dort den Willen des Kremls umzusetzen.

Man sollte auch die Verluste auf der russischen Seite nicht verschweigen. Wie uns das Komitee der Soldatenmütter telefonisch mitgeteilt hat, gibt es bereits hunderte von Gefallenen und Verwundeten. Das Verteidigungsministerium lässt die Öffentlichkeit darüber im Unklaren. Im Kampfgebiet werden weiterhin überwiegend Rekruten eingesetzt, darunter viele, die dahin ungenügend ausgebildet geschickt werden. Viele von ihnen haben nicht einmal sechs Monate Dienstzeit hinter sich.

Offensichtlich ist, dass die Menschenrechte aufs Gröbste verletzt werden. Den lahmen Verweisen des Westens schenkt der Kreml keine Beachtung. Jeder Vorschlag, den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen, was ein Zeichen für Russlands Willen wäre, das Jahrhunderte andauernde Problem auf zivilisierte Weise beizulegen, wird abgeschmettert. Die russische Regierung und der Präsident verfolgen absichtlich eine harte Politik der Unterdrückung eines ganzen Volkes. Die Verachtung des menschlichen Lebens, bei Problemen sich ausschließlich auf Militärgewalt zu stützen – das ist es, womit Russland in das dritte Jahrtausend schreitet. Andrei Lytaen, R. Lorenz, Hoffnung e. V.

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