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Duldung braucht ganz viel Geduld

Den Innenministern liegt ein Entwurf zur „Altfallregelung“ vor: Nur einem kleinen Teil der abgelehnten Asylbewerber wird ein Bleiberecht gewährt  ■   Von Nick Reimer

Berlin (taz) – Sachsens Innenminister Klaus Hardraht weiss, was ihm heute blüht. „Die Verhandlungen werden unheimlich schwierig“, sagte der Unionspolitiker, der derzeit den Vorsitz der Innenministerkonferenz inne hat. Heute tritt die Konferenz in der Grenzstadt Görlitz zusammen. Die Ortswahl scheint angebracht: Die wichtigsten Debatten werden sich mit Asyl befassen, mit Abschiebung, dem Staatsbürgerrecht oder den Zuständigkeiten von Europol.

Und es geht um die so genannte „Altfallregelung“. „Altfälle“ sind im Innenministerdeutsch Menschen, die nach Deutschland flohen, hier kein Asyl bekamen. Abgeschoben konnten sie aber nicht werden, da in ihrer Heimat entweder Krieg herrschte oder ihnen nichtstaatliche Verfolgung drohte – Afghanen etwa, Bosnier oder Iraner. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention sind diese Menschen in Deutschland geduldet. Konferenzleiter Hardrath zur taz: „Die Altfallregelung ist ein ganz schwieriges Thema.“

Immerhin hat Sachsen selbst – gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bayern und dem Bundesinnenministerium – eine Beschlussvorlage erarbeitet, die den Innenministern heute vorgelegt wird. Nur einem sehr kleinen Kreis von „Altfällen“ wird danach ein Bleiberecht gewährt. Das Papier sieht eine Stichtagsregelung vor: Flüchtlingsfamilien mit minderjährigen Kindern sollen dann eine befristete Aufenthaltsbefugnis bekommen, wenn sie mindestens seit Juli 1993 in Deutschland leben. Für kinderlose und allein stehende Flüchtlinge soll der Einreisestichtag 1. Januar 1990 gelten. Außerdem müssen Flüchtlinge den Lebensunterhalt der gesamten Familie selbst durch legale Erwerbstätigkeit bestreiten. Für Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien sowie Vietnamesen, die in die DDR als Gastarbeiter kamen, soll diese Regelung ausdrücklich nicht gelten. Pro Asyl bezeichnete die Vorlage als „unzureichende, engherzige und blamable Scheinlösung“. Die Kirchen Deutschlands schrieben Hardraht einen Brief: Deutschland brauche eine großzügige „Altfallregelung“.

„Unheimlich schwer“ werden die Verhandlungen auch, weil Bundesinnenminister Otto Schily mit verschiedenen Äußerungen im Vorfeld die Kontroverse angeheizt hat. Schily hatte 97 Prozent aller Asylbewerber als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet, diese Äußerung später indes „unglücklich“ genannt. „Armutsflüchtlinge“ seien 97 Prozent, so Schilys Korrektur.

Doch faktisch liegt die Anerkennungsquote auf politisches Asyl bei über zehn Prozent. Dazu kommen die Flüchtlinge, die zwar geduldet werden, aber nicht abgeschoben werden können. Entsprechend die Reaktionen auf Schilys „Korrektur“. Grünen-Chefin Antje Radcke sagte etwa: „Schilys Äußerungen sind absolut unverantwortlich. Er hantiert mit falschen Tatsachen und schürt Stimmungen, die schwer wieder unter Kontrolle zu bekommen sind.“ Wie aufs Stichwort klatschte sogleich der rechtsextreme Oberrepublikaner Rolf Schlierer Schily Beifall. „Das großzügige deutsche Asylrecht mit seinen freigiebigen Sozialleistungen und seiner Rechtswegegarantie macht Deutschland zum Haupteinfallstor für Wirtschaftsflüchtlinge aus aller Welt“, erklärte der Rep-Vorsitzende.

Ein „unheimlich schwieriger“ Tag also für den Moderator Hardraht. Der verspricht, sein Fingerspitzengefühl einzusetzen. Sachsens Innenminister: „Schließlich brauchen wir für jedwede Beschlüsse Einstimmigkeit.“

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