Die deutsche Industrie muss noch einmal eins drauflegen

■ Gespräche über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern trotz verbesserten Angebots vertagt

Berlin (taz) – Auch in der jüngsten, gestern beendeten Verhandlungsrunde zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter in Bonn ist es nicht gelungen, zu einer Übereinkunft zu kommen. Otto Graf Lambsdorff, Verhandlungsführer der deutschen Seite, hob dennoch Fortschritte auf zwei Gebieten hervor.

Es sei erstens gelungen, in der Frage der Rechtssicherheit eine für die deutschen Unternehmen allseits akzeptierte Lösung zu finden. Die Regierung der USA wird nach diesem Übereinkommen ein „statement of interest“ abgeben, das bei künftigen Prozessen in den Vereinigten Staaten gegen deutsche Firmen zu Klageabweisungen durch die amerikanischen Gerichte führen soll. Lambsdorffs amerikanischer Kollege Stuart Eizenstat bestätigte dessen Darstellung.

Laut Lambsdorff hat es zweitens Annäherungen bei der Gesamtsumme gegeben, die für die Entschädigung der noch lebenden Zwangsarbeiter zur Verfügung stehen wird. Zwei „Bandbreiten“ stehen sich gegenüber: die deutsche, die sich zwischen 6 und 10 Milliarden Mark bewegt, und die amerikanische, die von 10 bis 14 Milliarden Mark reicht. Zwischen diesen beiden Bandbreiten müsse ein Kompromiss gefunden werden, der für die deutsche Seite bei knapp unter und für die amerikanische bei knapp oberhalb 10 Milliarden Mark liegen könne. Graf Lambsdorff und Stuart Eizenstat haben allen Beteiligten eine Auszeit von drei Wochen verordnet.

Seitens der Industriestiftung wurde durch den Vorstandssprecher von DaimlerChrysler, Manfred Gentz, bekannt gegeben, dass die deutsche Industrie ihr Angebot um 1 Milliarde auf 5 Milliarden erhöht habe, womit sich das deutsche Gesamtangebot (3 Milliarden kommen von der Bundesregierung) auf 8 Milliarden erhöht. Gentz bat darum, der Industriestiftung eine Frist für das Einsammeln dieser zusätzlichen Milliarde zu gewähren. Dies geschah. In diesem Zusammenhang stellte Lambsdorff fest, dass aus technischen Gründen mit der Auszahlung sowieso nicht, wie ursprünglich erhofft, zu Beginn des Jahres 2000 begonnen werden könne.

Bundeskanzler Schröder warnte gestern vor einer „neuen Reparationsdebatte“. Die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter richteten sich gegen bestimmte Unternehmen und könnten nicht auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet werden. Laut Schröder brauche es für eine angemessene Lösung „längere Verhandlungen“. Christian Semler

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