: Alle sollen wissen: Wir haben das gebaut“
■ Benachteiligte“ Jugendliche errichten Kultbar für neue Chance auf Arbeitsmarkt
Kerstin Eichner ist: „hibbelig“. Für die Premiere der aktuellen Thaterproduktion der Sophiensäle muss jeder Nagel im Bühnenbild an der richtigen Stelle stecken. Hinter der Bühnenbildnerin liegt ein Kraftakt: Ein halbes Jahr lang war sie Anleiterin und Seelentrösterin für 40 ehemals arbeitslose Jugendliche. In der Sprache des Arbeitsamts werden sie „Benachteiligte“ genannt. Die jungen Berliner holen bei der Gesellschaft für berufsbildene Maßnahmen e.V. (GFBM) ihren Schulabschluss nach und sollen nebenher auf einen Beruf vorbereitet werden.
Gemeinsam mit der erfahrenen Bühnenbildnerin haben sie die Berliner Kultbar „Kumpelnest 3000“ originalgetreu nachgebaut. Heute Abend muss die Kulisse für das Theaterstück „Don Juan im Kumpelnest 3000“ von Ivan Stanev stehen. Senol Kayaci, ein junger Türke, hat nur einen Wunsch für die Premiere: „ Die Leute sollen wissen, dass wir das alles gebaut haben.“ Schweiß und Überstunden stecken in der täuschend echten Bar-Attrappe. Senol werkelt am Teppich. Nach einem Foto soll er das Tigermuster originalgetreu kopieren. Kein Problem für den 24-jährigen Sprayer. Seine Chefin lobt: „Der Junge hat wirklich Talent.“ Auf die Frage, was er denn vor dem Projekt gemacht habe, antwortet Senol mit einem Grinsen: „Nichts Gutes.“ Der 19-jährige Thorsten Gottschalk schraubt noch an der Bühnenlichtanlage. Sonst legt er in Nachtclubs HipHop-Platten auf. Der Discjockey ist einer der wenigen, die viele freie Stunden für das Projekt opfern: „Meine Freundin ist schon stinksauer.“ Aber hier mache sogar das Möbelschleppen Spaß. „Die Leute sind echt locker.“ Am Anfang herrschte unter der multinationalen Gruppe „Null-Bock-Stimmung“, so Produktionsleiterin Amelie Deuffelhard. Senol gesteht ein: „Wir waren die mit den Vorurteilen.“ Nie vorher sind sie im Theater gewesen. „Wir kommen aus einer völlig anderen Welt.“ Amelie Deuffelhardt findet es schade, dass selbst heute noch „manche Party machen, während andere schuften“. Ingo Vogt von der GFBM dagegen ist froh, „dass wir überhaupt einige erreicht haben“. Bisher hätten die jungen Leute in den Werkstätten der Schule nur kleine Requisiten gebaut. „Das hat lediglich Laborcharakter.“ Eine Kooperation mit einem Theater gab es noch nie. Bühnenbildnerin Kerstin Eichner, die als Ausbilderin in der GFBM anfangen sollte, hat Ingo Vogt mit der Produktionsleiterin der Sophiensäle bekannt gemacht. Ein Glücksfall für beide Seiten. Amelie Deufelhard gesteht: „Sonst hätten wir das Projekt so nicht stemmen können.“ Die Produktionskosten überstiegen das Budget bei weitem. Gemeinsame Projekte mit Unternehmen wie diese sind selten. Das Arbeitsamt gibt nur seine Erlaubnis, wenn der Betrieb nicht profitorientiert arbeitet. Vogt ist bewusst, dass die Chancen für die Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt klein sind, aber: „Die jungen Leute sehen, dass sie etwas schaffen können.“ Amelie Deufelhard möchte einige besonders Talentierte als Bühnenarbeiter in ABM-Stellen übernehmen. Weitere Projekte wären denkbar. „Doch das hängt leider am Okay des Arbeitsamtes.“ Karen Heinrichs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen