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Der Schlossherr des neuen Ruhrgebiets

Wo Geld knapp ist, wird Brache zur Kunst umgedeutet: Als Geschäftsführer der Bauausstellung Emscher Park verhalf Karl Ganser dem Ruhrpott zum neuen Image, das er mit einer Agentur Ruhr jetzt stabilisieren soll. Doch die Region wehrt sich  ■   Von Thomas Machoczek

Wenn Karl Ganser spricht, hört man, dass er nicht aus Bottrop, Wattenscheid oder Wanne-Eickel stammt. Auch nach zehn Jahren an der Ruhr klingt ein breiter süddeutscher Akzent durch, der ihm andernorts unfehlbar das Siegel „Zugereister“ aufdrücken würde. Und Karl Ganser sprach viel in diesem Sommer. Die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) ging zu Ende, ein halbes Jahr lang jagte eine Präsentation die nächste. Auf siebzig Kilometern zwischen Duisburg im Westen und Bergkamen im Osten sollte noch einmal ins Bewusstsein gerückt werden, was in den vergangenen zehn Jahren geschaffen wurde.

Mit Erfolg: In allen großen Blättern fand zuletzt das Staunen seinen Niederschlag, das den Nicht-Ruhrpöttler zuverlässig überkommt, wenn er durch das nächtens erleuchtete Hüttenwerk in Meiderich läuft, im Oberhausener Gasometer im gläsernen Aufzug durch hundert Meter Nichts bis zum Dach hinauffährt oder wenn er vom Stahl-Tetraeder der Bottroper Halde Batenbrock über die Region blickt, durch die Deutschlands größte Kloake, die Emscher, fließt. Rund dreieinhalb Millionen Besucher zählte man zum Abschluss, die Hälfte kam von außerhalb. Die meisten davon ließen sich von den großen Attraktionen locken: Christo und Jeanne-Claude im Gasometer, die Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ auf der Kokerei Zollverein. Doch auch die zahlreichen lokalen Feste und Symposien profitierten von diesem Sommer der Bauausstellung.

Für Karl Ganser, den Geschäftsführer der IBA, war es „Liebe auf den zweiten Blick“, die ihn hier tätig werden ließ. Man weiß, dass er Zweifel hatte, als er vor zehn Jahren an die Ruhr wechselte, und er musste einen einflussreichen Posten als Abteilungsleiter im Nordrhein-Westfälischen Landesministerium für Städtebau dafür aufgeben. Interesse und später eben auch Zuneigung zum Ruhrgebiet keimten erst auf, als er hier auf kargem Schlackenboden eine Flora entdeckte, die ihn an alpine Regionen erinnerte.

Die „Liebe auf den zweiten Blick“, so auch der Titel eines unter seinem Namen erschienenen Rückblicks in Form eines populär gehaltenen Katalogs, reichte dann aber für mehr als hundert Projekte. Große sind darunter, wie der Fortbau der Küppersbusch-Siedlung in Gelsenkirchen oder die zahlreichen Gewerbeparks, aber auch kleinere, die Fahrradstation entlang der Köln-Mindener-Eisenbahnstrecke beispielsweise. Und wo Geld knapp ist, wurde Brache zur Kunst umgedeutet. „Natur frisst Stadt“ lautet das findige Konzept. Verwildern lassen statt sanieren – so wurden dank IBA Industriegiganten umgedeutet zu „verwunschenen Burgen, die allmählich im Wald versinken“.

Angekreidet wurde, dass vieles davon zu intellektuell sei, um die Herzen der Menschen des Reviers zu erreichen und damit einen wahren Bewusstseinswandel einzuleiten. Tatsächlich aber ist auch das zumindest in Ansätzen gelungen. Galt es den mehr als fünf Millionen Ruhrgebietlern vor zehn Jahren doch noch als peinlich, dort zu wohnen, wo einst nur die Maloche zählte, so hört man sie nunmehr von Ausflügen erzählen, die sie mit ihren Bekannten von außerhalb zu den neu entdeckten Sehenswürdigkeiten unternehmen. Manch einer staunt freilich noch darüber, was plötzlich in dem stecken soll, was mal sein alter Pütt gewesen ist. Der Bauausstellungs-Terminologie zu Folge trifft man nämlich nun im Ruhrgebiet die „Ikonen aller Landmarken“, die „Ikone der Industriekultur“, und der „Kölner Dom der Industriegeschichte“ steht in Essen-Katernberg.

„Auch wenn es im Ruhrgebiet – versteckt in der Industrielandschaft – an die 100 Schlösser und Herrensitze gibt, scheint es den Menschen doch authentischer, die Wasserschlösser im Münsterland oder die Schlösser an der Loire zu besuchen“, weiß Ganser. So konnte die Schlussfolgerung nur lauten, sich auf das zu besinnen, was das Revier einzigartig macht. Und das wurde dann verkauft, als müsste man den Ruhrgebietlern selbst die Erfolgsbotschaft noch in den sturen Schädel hämmern.

Skepsis begegnete Ganser aber nicht nur da, die roten Rathausherren, die das Kirchturmdenken pflegen, sahen in seiner IBA zunächst wenig Sinn. Es bedurfte wohl eines Zugereisten, frei von falscher Ehrfurcht vor den Namen Krupp, Thyssen, Haniel und Hoesch, den Mythos Montan zu brechen und das neue Potenzial zu entdecken. Karl Ganser bewies dabei Beharrlichkeit und taktisches Geschick. Seine Rolle hat er selbst oft als Moderator beschrieben. Bisweilen aber heißt es aus seiner Umgebung, er dirigiere die Geschicke des Emscher Parks mit der Haltung eines Feudalherren. Mit dem seidenen Halstuch als Markenzeichen und seiner druckreifen, leicht dozierenden Art zu sprechen, ist er wahrlich niemand, den man auf den ersten Blick ins Herz schließt. Aber man kommt an ihm auch nicht vorbei.

Biologie, Chemie und Geografie hat der heute 62-Jährige studiert und in München die Olympischen Spiele organisiert. Vor seinem Wechsel nach Düsseldorf und schließlich an die Ruhr leitete er zehn Jahre lang die Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung in Bonn. Den Forschergeist zur Umsetzung neuer Ideen hat er mitgebracht. So wurde das Dach des neuen Stadtteilzentrums in Herne-Sodingen im IBA-Kontext mit Solarzellen überzogen. Ein Megawatt Strom liefert es und ist weltweit das größte Kraftwerk dieser Art. Damit nicht genug: Auf der Kokerei Zollverein entsteht ein noch größeres Solarmodul, zwei Megawatt stark, 600 Meter lang.

Spätestens hier setzen wieder die Kritiken ein. Fünf Milliarden hat die IBA verbaut, wer soll die Hinterlassenschaften verwalten, managen, finanzieren? Vieles wird nun in die Obhut der Kommunen entlassen, die wiederum Zuschüsse vom Land erhalten sollen. Doch damit ist die Frage nicht beantwortet: Was kommt nach der IBA? Für viele ist sie gleichlautend mit: Was kommt nach Karl Ganser, von Johannes Rau jüngst zum „Vater des neuen Ruhrgebiets“ geadelt?

Die Lösung der Landesregierung zu dieser Frage gab prompt Anlass für das politische Sommertheater an der Ruhr. Nachdem Landeschef Wolfgang Clement, angetreten als Reformer, bei der Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium scheiterte, nachdem die Pläne von der Abschaffung der Landschaftsverbände – eine nordrhein-westfälische Eigenart – vom Tisch sind, soll nun der altgediente Kommunalverband Ruhrgebiet eingestampft werden. Dessen 350 Mitarbeiter, betraut unter anderem mit der Verwaltung von Grünflächen und Revierparks, mit Kartografie und Marketing, protestierten nach Kräften. Was zunächst wenig bewirkte.

Eine neue „Agentur Ruhr“ soll her, verkündete Clement, und: Karl Ganser werde ihr Chef. Erst als der Kommunalverband eine Studie veröffentlichte, die zeigte, wieviel mehr die Agentur plus Abwicklung des Kommunalverbandes die Städte kosten werde, flammte die Kritik richtig auf. Dem vorliegenden Entwurf erteilten etliche Kommunen, darunter als größte Revierstadt Essen, bereits vor der Kommunalwahl eine deutliche Abfuhr. Im Zuge des Triumphs der CDU in zahlreichen Städten dürfte der Zuspruch für die Agentur kaum gestiegen sein.

Karl Ganser tat sich in diesem Streit weniger als Moderator denn als Polarisierer hervor. Gefragt, ob er denn auch die Mitarbeiter des Kommunalverbandes in seine Agentur einbinden werde, lautete die Antwort, er wolle ja nicht das Schlechteste übernehmen. Das hat ihm wenig Freunde gemacht. In der Gelsenkirchener IBA-Zentrale wurde bald ein strikter Diskussionsstopp verhängt. No comment, heißt es, so lange, bis aus Düsseldorf klare Signale kommen. Ohnehin wolle er ja nur als Aufbauhelfer für die Agentur fungieren, danach werde er sich endgültig nach Süddeutschland zurückziehen. Wenige glauben das an der Ruhr. Das Bild des Frührentners passt nicht zu dem Karl Ganser, den man hier kennen gelernt hat.

Karl Ganser: „Liebe auf den zweiten Blick. Internationale Bauausstellung Emscher Park“. Harenberg Edition 1999. 223 Seiten, 20 DM.

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