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Berlin isst besser als gedacht

■  Sieben Michelin-Sterne können nicht irren: Die Hauptstadt ist nicht länger Feinschmeckers Feindesland. Ganz im Gegensatz zum kulinarischen Umland

Endlich Weltniveau: Zum dritten Mal in Folge hat die Hauptstadt die Spitze der Gastronomie erklommen. Mehr Sterne-Restaurants als Berlin hat keine deutsche Stadt aufzubieten. Im Michelin-Führer für das Jahr 2000, der am Samstag erscheint, werden erneut sieben Restaurants mit je einem der begehrten Sterne ausgezeichnet. Allerdings fanden die „Krebse mit Leipziger Allerlei und Morchelravioli“, die das „Harlekin“ im Grand Hotel Esplanade serviert, nicht mehr die Gnade der Kritiker. Statt dessen rückt das konkurrierende Interconti mit seinem Restaurant „Zum Hugenotten“ in den exklusiven Club auf.

Blühende Landschaften allerdings sehen die Kritiker in Berlin und Brandenburg trotz des Sternesegens noch längst nicht. Von der gastronomischen Wüste ist die Metropole des Döners und der Currywurst bestenfalls zur Steppe aufgestiegen. Denn das nur halb so große Hamburg hat ebenfalls sieben Sterne aufzubieten. Und in die höheren Regionen der kulinarischen Weihestätten mit zwei oder drei Sternen konnte sich keiner der hiesigen Köche emporarbeiten. Da haben weiterhin München („Tantris“) oder Düsseldorf („Schiffchen“) die Nase vorn – ganz zu schweigen vom beschaulichen Schwarzwaldort Baiersbronn, der sich mit je einem Ein-, Zwei- und Dreisternerestaurant längst als Wallfahrtsort für Feinschmecker etabliert hat.

Ein völliges Desaster haben die Tester im Umland erlebt. Sterne haben sie in Brandenburg noch nie verteilt. Diesmal aber konnten sie nicht einmal „sorgfältig zubereitete, preiswerte Mahlzeiten“ entdekken, die der Führer mit dem Michelin-Männchen namens „Bib“ kennzeichnet. Nur die Menüs, die das „C+W Gourmet“ in Eichwalde am südöstlichen Stadtrand für 49 bis 80 Mark offeriert, fielen nach Ansicht der Kritiker in diese Kategorie. Die übrigen vier „Bib“-Restaurants strichen sie gnadenlos von der Liste – darunter auch den „Landgasthof zum grünen Strand der Spree“ in Schlepzig, der gemeinhin als gastronomischer Lichtblick im Spreewald gilt. Auch in Berlin selbst fehlt die Mittelklasse der ordentlichen Restaurants mit moderaten Preisen. Mit dem „Karlsbad“ an der Potsdamer Brücke strichen die Tester den einzigen „Bib“ von der Liste. „Für eine europäische Hauptstadt ist die Qualität immer noch nicht gut genug“, monierte Michelin-Verlagsleiter Manfred Schweiß schon im Vorjahr: „Da müssen noch mehr Klasse und besserer Service her. Jahrhunderte preussischer Sinnenfeindlichkeit haben ihre Spuren hinterlassen.“ Wohl wahr: Auf die Pariser Restaurants verteilten die Michelin-Verkoster insgesamt 117 Sterne.

Für das protestantische Argument, Menüpreise um hundert Mark in den Einsternehäusern seien dekadent, haben die Redakteure in der Karlsruher Deutschland-Dependance des französischen Reifenwerks kein Verständnis. Sie geben die Devise aus: „Lieber selten und hervorragend als häufig und mies essen gehen.“

Wer lange genug darbt, darf sich „geräucherten Stör mit Imperial-Kaviar und jungen Erbsen“ genehmigen – im „Vau“ beim Gendarmenmarkt, das der Rheinländer Kolja Kleeberg erst vor drei Jahren eröffnet und prompt einen Michelin-Stern errungen hatte. Wer statt der neuen Mitte lieber den alten Westen besichtigen will, sollte „Rockendorf's Restaurant“ in Waidmannslust aufsuchen und eine „Bresse-Poularde auf Steinpilz-Risotto“ zu sich nehmen. Allerdings stammen dort auch die Menüpreise von bis zu 200 Mark noch aus jenen Zeiten, als Siegfried Rockendorf ein einsamer Rufer in der gastronomischen Wüste war. Ralph Bollmann

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