Schlagwort Authentizität

Münchner Vorstadt-Kids rappen sich selbst: das HipHop-Musical WestEndOpera gastiert auf Kampnagel  ■ Von Kristina Maroldt

Bis zur Bronx sind es sieben S-Bahn-Stationen. Und zwar vom Münchner Marienplatz aus. Man könnte natürlich auch in Hamburg in die S-Bahn steigen oder in Berlin. Hauptsache, man fährt so lange, bis der Zug irgendwo in der Vorstadt hält. Dort steigt man dann inmitten ehemals ehrgeiziger Wohnprojekte der 70er Jahre aus, die heute nur noch als „soziale Brennpunkte“ Aufsehen erregen.

Zum Beispiel in München-Neuperlach. „Bei uns geht's ganz schön ab: Die Jungs hängen da eigentlich alle nur rum, dealen mit Drogen oder werden sonstwie kriminell.“ Enz weiß, wovon er spricht. Der 27-Jährige ist Neuperlacher. Außerdem ist Enz Rapper und als solcher neuerdings sogar Musical-Star. WestEndOpera heißt das Projekt, für das Enz mit rund 30 anderen Jugendlichen aus der Münchner Peripherie zwei Jahre lang geprobt hat. Bei seiner Premiere im Sommer löste das HipHop-Musical Begeisterungsstürme aus, jetzt geht das Ensemble auf Tournee und macht dabei auch auf Kampnagel Station.

Der Erfolg der Truppe verwundert kaum. Die WestEndOpera ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Schon die Entstehungsgeschichte ist ein Unikum: Zwei Jahre lang pilgerte der Musiker und Komponist Vridolin Enxing durch Münchner Jugendfreizeitstätten. Im Gepäck hatte er ein mobiles Tonstudio, in dem er fast 600 Vorstadt-Kids Songs über ihren Alltag schreiben und aufnehmen ließ: über Drogen und Gewalt, aber auch über Liebe und Generationskonflikte.

Die Idee einer weltersten „Hip-Hopera“ nach dem Vorbild der West Side Story entstand, und Enxing begann, sich in einer aufwendigen Casting-Aktion unter Münchner Jugendlichen eine illustre WestEnd-Truppe aus insgesamt 17 Nationen zusammenzustellen: „Unser einziges Auswahlkriterium lautete: Begabung. Drogenvergangenheit oder Vorstrafe – das hat uns alles nicht interessiert.“

Auch Enz war damals mit seinen HipHop-Kollegen dabei: „Wir konnten im Grunde unsere ganzen Neuperlacher Geschichten in die Oper mit einbringen.“ In einer professionell gecoachten und durch den Stadtrat finanzierten „West-End-Opera-Schule“ rappten, sangen, komponierten, tanzten, filmten und texteten die Jugendlichen sich schließlich ihre eigene „Hip-Hopera“ zusammen. Aus Vorstadttalenten wurden dabei regelrechte Show-Profis, die mittlerweile, unterstützt durch die Berufsförderung des Arbeitsamtes München, mit ihrer Musical-Arbeit sogar Geld verdienen.

Authentizität ist dabei das Schlagwort, das sich durch die gesamte Produktion zieht. „Die Storyline, also die Grundlage des Musicals, stammt ausschließlich von den Jugendlichen“, betont Thomas Petz, der zusammen mit dem Journalisten Claus-Peter Lieckfeld für die Dramaturgie des Stücks verantwortlich ist: Die Türkin, die gegen ihren Willen ihren eigenen Cousin heiraten muss, oder das Mädchen, das mit elf von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde – all das entsprang nicht der Fantasie irgendeines Libretto-Schreibers, sondern dem Alltag der jugendlichen Darsteller.

Dass daraus am Ende kein moralisierendes Sozialpädagogen-Drama geworden ist, sondern eine spannende Story über den Kampf einer Vorstadt-Gang gegen den Abriss ihres Treffpunkts im Münchner Stadtteil Westend – dafür sorgt vor allem der HipHop-lastige Soundtrack des Musicals. HipHop im Musical, das ist völlig neu und doch eigentlich das Selbstverständlichste der Welt – finden zumindest die Initiatoren der WestEndOpera. Diese Musik präge schließlich ganz entscheidend die weltumspannende Subkultur der heutigen Jugend.

Enz sieht das ähnlich: „HipHop hat viel mit Jugend zu tun, mit Realität und Respekt. Damit, zu wissen, wo seine Wurzeln sind und wo man hin will.“ Weiß er denn selbst, wo er mal hin will? „Ich will später mal mit meiner Band NPL-Bragnaz politisch angehauchten Rap machen“, sagt Enz. „NPL steht natürlich für Neuperlach.“

Premiere: Mi, 1. Dezember, 19.30 Uhr, k6