piwik no script img

In Kokain gewendete Madonnen

■ Schmäh und Schicksal: Stefan Wagners überragender „Kubanisch Rauchen“ im 3001

Wenn Österreich politisch und kulturell immer von einem gewissen Verwesungsgeruch umgeben ist, dann hängt die Metropole Wien am Beatmungsgerät. Dementsprechend zeigt der Vorspann zu Kubanisch Rauchen Impressionen aus einer Großstadt, deren moribunde Bewohner augenscheinlich nur noch am Leben sind, um ihren Mitmenschen dasselbige zu vermiesen.

Inmitten des wohlgeordneten Verfalls proben die thirtysomthings Bernd (Thomas Morris) und Paul (Simon Licht) den kleinen Aufstand: Bernd will nicht mehr für seinen Ziehvater Dragan (Seymour Cassel) als Geldeintreiber die Ladenbesitzer terrorisieren, und Paul sucht nach einer Zukunft jenseits der Dauerverlobung mit Familienanschluss. Gemeinsam übernehmen die Freunde ein Antiquitätengeschäft – wahrlich das passende Unternehmen für Leute, die mit der Vergangenheit brechen möchten – und erleben eine kurze Zeit des privaten Glücks. So wird Paul durch die Bekanntschaft mit Lisa (Tatjana Alexander) an längst vergessene Sehnsüchte erinnert, während Bernd seine Vorstellung eines idealisierten male bonding ausleben darf. Doch schon bald werden beide von persönlichen Altlasten eingeholt, was das drastische Ende des Walzertraums bedeutet.

Das Scheitern der bescheidenen Lebensentwürfe illustriert Regisseur Stephan Wagner mit schwarzweißen Bildern, die das Befinden der Figuren mit diskreter Präzision ausleuchten. Damit schafft der Film einen formalen Rahmen, in dem die Affäre zwischen Paul und der ebenfalls gebundenen Lisa als Moment unvoreingenommener Intimität bestehen kann, ohne dass dabei die alles penetrierende Bösartigkeit des Alltags aus dem Blick gerät. Und die begegnet den Protagonisten in vielerlei Gestalt, sei es als ein klebrigen Schmäh verbreitender Kleingangster oder als joviale Renterin, die Schnappsgläser mit Hakenkreuz-Motiv sammelt.

Der gerechte Zorn, den Kubanisch Rauchen im Gegensatz zu seinen passiven Figuren gegenüber dieser behäbigen Verschlagenheit entwickelt, macht die Tragik des Gezeigten erträglich. Aber je absurder die Episoden um in Kokain gewendete Madonnen und sentimentale Ordnungshüter werden, desto schmerzvoller die Erkenntnis, dass Solidarität nicht einmal zwischen zwei Liebenden möglich scheint.

Zwar verspricht das Filmplakat, vor dem Lisa und Paul in einer Szene stehen, „Eine Liebe bis ans Ende der Welt“. Doch damit wurde Lars von Triers Breaking the Waves beworben. Während in jenem Film das Schicksal mit beinahe tröstlicher Willkür wütete, überlässt Wagner dem überragend agierenden Cassel die Verkündung der hier gültigen Wahrheit: „You did this to yourself.“

Daher wird niemand von seiner persönlichen Verantwortung entlas-tet, obwohl – oder vielmehr weil – die Welt so lebensfeindlich ist. Und genau dort artikuliert dieser vollends gelungene Film seine angeschlagene Moral: Lieber in Würde Scheitern, als ein bisserl verlogen bleiben. David Kleingers

ab heute, 3001, 20.30 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen