: Mit Straßenblockaden gegen die Love Parade
Eine Bürgerinitiative aus Anwohnern der Umzugsstrecke kämpft für die Verlegung des Technofestivals aus dem Berliner Tiergarten. Notfalls wollen die zornigen Bürger ihr Ziel mit Gewalt durchsetzen: Die Parade sei keine Belästigung, sondern Krieg ■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Alle halten sich strikt an die Vorschriften, die schwarz auf weiß auf dem Schild im Sitzungssaal des Rathauses stehen: „Rauchen, Essen, Trinken verboten“. Doch geht es um Steinwürfe und Straßenblockaden, sind die wohl situiert aussehenden Männer und Frauen zwischen 35 und 70 Jahren nicht zimperlich.
Die etwa 50 Berliner, die sich am Dienstagabend im Rathaus Tiergarten versammelt haben, wollen mit allen Mitteln verhindern, dass zur 12. Love Parade im nächsten Sommer wieder eine Million Raver durch den Tiergarten tobt. Deshalb haben sie sich im August zu einer Initiative zusammengeschlossen und unter dem Motto „Was tun?“ bisher 1.200 Unterschriften gegen die Parade im Park gesammelt.
Nach den Erfahrungen der Anwohner der Demonstrationsstrecke verwandelt sich die Stadt zur Love Parade „in einen rechtsfreien Raum“. Weil die Ordnungshüter nichts gegen Raver unternehmen würden, die vor ihren Haustüren und in ihren Vorgärten ihre Notdurft verrichten und unter ihren Schlafzimmerfenstern die Boxen aufdrehen, wollen es einige von ihnen nicht mehr nur bei zivilem Protest belassen. „Wir werden unsere Straße sperren, und wenn die Polizei die Sperren wegmachen will, gibt es einen kleinen Bürgerkrieg“, sagt ein durchaus zivilisiert aussehender Herr von Anfang Fünfzig. Nur sein Schnauzbart wackelt gefährlich. „Ich würde das auch machen“, pflichtet ihm ein anderer bei.
Der geladene Vertreter der Polizeigewerkschaft scheint kein Problem mit der angekündigten Gewalt gegen seine Kollegen zu haben. „Ich kann nur hoffen, dass wir keine rechtsfreien Räume bekommen“, sagt er. Auch die Sprecherin der Initiative, eine gelernte Opernsängerin, reiht sich ein in die Reihen der Anti-Techno-Kämpfer: „Das ist keine Belästigung, das ist Krieg“, sagt Margarethe Pape. Wenn der Polizeipräsident erneut grünes Licht für die Love Parade durch den Tiergarten gibt, werde es „gewalttätig“ werden. Die Begründung: „Wer sich nicht einscheißen und einpissen und sein Haus nicht zerlegen lässt, ist intolerant.“ Ihre Beteuerungen, dass es nicht um eine Abschaffung der Love Parade, sondern um eine Verlegung der Route gehe, klingen wenig glaubwürdig.
Außer dem zaghaften Einwand eines Mitstreiters auf dem Podium – „Es muss absolut gewaltfrei sein“ – spricht sich nur ein Mann aus dem Publikum für Frieden und sogar für die Love Parade im Tiergarten aus. „Wenn es eine politische Veranstaltung ist, gehört sie nicht ins Abseits“, sagt er. Wieso er sich als Befürworter unter die Gegner gemischt hat? „Ich bin als politischer Beobachter meiner Partei hier“, erklärt der 50-Jährige gegenüber der taz. Der pensionierte Postbeamte ist Mitglied der Grauen Panther und bezeichnet die angekündigten Proteste als „faschistoide Geschichte“.
Außer ihm gibt es noch eine zweite Person, die das Misstrauen der Bürgerinitiative weckt: Ein junger Mann, der die zweistündige Versammlung mit einer kleinen Videokamera filmt. Als er gefragt wird, zu welchem Zweck, stellt er sich als freier Journalist vor, der eine Dokumentation über die Love Parade erstellen will. Weil er nicht sagen will, für wen oder in wessen Auftrag, macht sich Angst breit, es könne sich um einen Spion von Planetcom, dem Veranstalter der Love Parade, handeln. Während keiner etwas dagegen hatte, zu Beginn der Veranstaltung von einem Fernsehteam gefilmt zu werden, soll der unbekannte Filmer mit Rufen nach dem Recht am eigenen Bild in die Enge getrieben werden. Erst als er sich schließlich bereit erklärt, seinen Namen und seine Adresse zu hinterlassen, beruhigen sich die aufgebrachten Frauen und Männer.
Die Ausführung ihrer Androhungen machen sie davon abhängig, ob Politiker ihre Versprechen halten. Stolz verteilen sie Pressemitteilungen des CDU-Kreischefs in Tiergarten. Darin sagt er zu, die Verlegung der Route „zum wesentlichen Bestandteil“ seiner Politik zu machen. Zudem verweist er auf die Hilfe von Parteifreund und Innensenator Eckart Werthebach. Dieser Balsam für die technogeschädigten Ohren der genervten Anwohner ist datiert vom 5. Oktober – fünf Tage vor der Abgeordnetenhauswahl. Der Appell des Politikers an die Bürger, ihre Stimme seiner Partei zu geben, hat gefruchtet: Er hat den Einzug ins Abgeordnetenhaus geschafft. Doch der Innensenator ließ kürzlich mitteilen, dass er „lediglich Verständnis“ für die Kritik der Bürgerinititiative geäußert und versprochen habe, diese bei seiner Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. In seiner Schublade liegt bereits die Anmeldung des Veranstalters Planetcom – für die Route durch den Tiergarten. Auch von der Kanzlei des Regierenden Bürgermeisters – im Nebenjob Landeschef der CDU – kann die Bürgerinitiative keine Rückendeckung erwarten. Dort sieht man die Parade weiterhin als „Wirtschaftsfaktor und Aushängeschild für Berlin“. Die Sprecherin der Initiative betont, sich nicht von den Politikern einlullen zu lassen. „Sie machen sich lächerlich, wenn sie ihre Versprechen nicht halten“, sagt sie. Wer sich lächerlich macht, wird sich am 8. Juli nächsten Jahres zeigen.
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