: Für immer Hund
Stecker rein, Strom an und los geht's: Iggy Pop kennt keinen Blues und präsentierte sich in der Columbiahalle als das ewig junge Rock'n Roll-Energiebündel ■ Von Gerrit Bartels
Vom tollen neuen Rock und einer Renaissance von Rock ist in letzter Zeit ja öfter die Rede. Doch man wundert sich stets aufs Neue, wie hoch die Mobilisierungseffekte auch von unterschiedlichsten Rockkonzerten sind: Drängelten sich erst am Montag bei Trent Raznor und Nine Inch Nails 3.000 Leute in der Columbiahalle, sind es bei Iggy Pop zwei Tage später an selber Stelle nicht viel weniger. Selbst nebenan im ColumbiaFritz stehen die Leute Schlange, um die New Yorker Folk-Sängerin Ann DiFranco zu sehen.
Es will und will sich einfach nicht ausrocken, und einmal mehr darf man konstatieren: Rock lebt tatsächlich, besser denn je – auch wenn da so manche Schmerzgrenzen erreicht werden.
Denn Iggy Pop ist ein ganz schön harter Brocken, ein Dinosaurier wie Mick Jagger, Bruce Springsteen oder Rob Younger. Ein 52jähriger Mann, der es nicht sein lassen kann, live aufzutreten und dabei den wilden Mann zu markieren. Der Gottvater von Punkrock zwar, ein Klassiker der Moderne gar. Dessen unermüdliches Tun aber immer mal wieder die Frage aufwirft, ob das mittlerweile nicht alles ein wenig lächerlich und peinlich ist.
Immerhin hieß es im Vorfeld des Konzerts, Iggy Pop sei mittlerweile gelangweilt von Rock, und da er auf seinem neuen Album „Avenue B“ sehr ruhige Töne angeschlagen hatte, wurde das Konzert auch als „acoustic & electric“ angekündigt: Bestuhlte Sendesäle, Barhocker und Blues revisited, eben das angemessene Surrounding für Männer, die auf die Sechzig zugehen.
Von Beginn an lässt Iggy Pop aber keinen Zweifel aufkommen, was an diesem Abend Sache ist: Es ist wahnsinnig laut, die ersten Stücke sind schnell und krachig, und die Band, die ihn begleitet, sieht aus wie eine drittklassige Ausgabe von Guns 'n' Roses: Stämmige, hüftsteife Männer mit langen Haaren und speckigem Outfit. Sie stehen im scharfen Kontrast zu ihrem kleinen Anführer, dessen Anblick immer ein wenig erschreckt: Seine langen dünnen Haare, sein irgendwie dämonisches Gesicht, sein freier Oberkörper, der hager, knöchern, vernarbt ist und alle Angriffe überlebt hat, die das Rock 'n' Roll-Dasein gegen ihn gefahren hat.
Als habe man pünktlich um acht, halb neun die Stromversorgung in diesem Körper angestellt, rennt Iggy Pop auf der Bühne von rechts nach links und wieder zurück, verrenkt sich hier, shoutet dort, gibt den Wüterich und Höhlenmenschen, schüttelt Hände, springt ins Publikum – so als wäre es immer noch 1969 oder 1970.
Das Programm ist dasselbe wie all die Jahre zuvor auch, Iggy und seine Band spielen im Wechsel Stooges-Stücke wie „I wanna be your dog“ oder „No fun“ und spätere Hits wie „Lust for life“ oder „Real Wild One“. Bei „Passenger“ dürfen ein paar Jungs mit Iggy auf der Bühne pogen und ihn hochleben lassen, (sie sind aber ganz lieb, fassen ihn vorsichtig wie eine Porzellanfigur an), und spätestens dann steht einem Großteil des 30 bis 60 Jahre alten Publikums Tränen in den Augen: vor Trauer, vor Glück, man weiß es nicht.
Vielleicht ist es Melancholie ob der vielen verlorenen Jahre. Vielleicht ist es aber auch die Freude darüber, genau wie Iggy überlebt und schlecht oder recht sein Leben in den Griff bekommen zu haben. So wie die Leute aussehen, ist beides möglich.
Die schlimmen Befürchtungen, die man anfangs noch hegte, von wegen peinlich und lächerlich, bestätigen sich allerdings nicht wirklich. Irgendwann findet man die Show nur noch geil, geil, geil. Und dass Iggy Pop möglicherweise nur eine Figur darstellt, die hier routiniert eine alte und gut funktionierende Rolle spielt, weicht bald anderen Einsichten: Es gibt nur einen Iggy Pop, der ist einfach so ist, wie er ist, der kann gar nicht anders.
Zwischen Iggy und den Iggy-Darsteller passt jedenfalls nichts: keine Ironie, kein Hohn über Person und Geschichte, keine höhere Sendung: Alles ist, wie es ist, stumpf und nach vorn, wild und schön. Als Iggy Pop dann einmal tatsächlich mit einer Akustikgitarre auf die Bühne kommt, um einen Song des neuen Albums zu spielen, gibt's allerdings leichte Irritationen: Der Song animiert das Publikum schnell zum Mitklatschen, und ein bisschen ist es auf einmal wie bei „Wetten, daß...?“ Doch das geht vorbei, Iggy Pop springt schnell über diesen Abgrund und macht energisch weiter. Die Zukunft von Rock ist immer auch seine Vergangenheit: Iggy Pop macht da keine Unterschiede.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen