Zeit der tiefen Stimme

Call Center bieten jede Menge Jobs, gerade für StudentInnen. Doch ArbeitgeberInnen können sich allzu schnell aus der Verantwortung ziehen   ■  Von Margerete Steffen

Christoph setzt die Mineralwasserflasche ab und rückt sein Headset zurecht. Es tutet im Kopfhörer, dann sagt die Computerstimme: „Ein Gespräch für Berlikomm.“ In der Leitung ist Herr Fischer. Er will vom Wechsel seines Telefonnetzes überzeugt werden.

Berlikomm ist eine kleine, aufstrebende Stadtnetz-Anbieterin für Privatkunden. Werbung und Beratung laufen über das Call Center der Sydios GmbH. Die Mitarbeiter bei Sydios tun nichts anderes, als gut informiert und freundlich über Berlikomm zu erzählen. Am Nachbarplatz macht Heidelinde Rüdecke Pause. Einmal pro Stunde können sich die Telefonagenten für zehn Minuten vom Netz klemmen, um sich zu erholen. Bevor sie bei Sydios durchstartete, war Heidelinde lange als Briefträgerin in Berlin unterwegs. Dabei hat sie viel über Kommunikation gelernt.

Während Christoph die Fragen von Herrn Fischer behandelt, gestikuliert und nickt er, lächelt und klickt sich dabei durch das Infofenster auf seinem Monitor. Dort fragt er Preise für den Kunden ab. Der 28-jährige Student der Sozialwissenschaft macht den Job in Teilzeit. Er wirkt wie jemand, der mit dem Skateboard zur Arbeit rauscht. Kaum überraschend, dass er agil telefoniert. Das ist ganz im Sinne seines Chefs Hartmut Vietze. Der lässt nur handverlesene Leute an die Leitungen.

„Man muss die Mentalität dafür haben. Die Anforderungen sind hoch. Informationen von Berlikomm treffen täglich neu ein. Sie müssen für Kunden permanent abrufbar sein. Ein Job für Leib und Seele“, sagt Vietze. Mit so einer hoch aufgehängten Betreuung, glaubt Vietze, ist das Call Center der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus: „Es wird immer mehr anspruchsvolle Kunden geben.“ Bei den vielen gleichartigen Telefongesellschaften zählt, ob diese Kunden bei Anruf eine Stimme hören, die nett und kompetent wirkt. „Die Leute bekommen Coachings, in denen sie alle Unsicherheiten abbauen. Die hohen Belastungen honorieren wir auch“, sagt Vietze. In der Tat, das Salär ist satt: mehr als 4.000 Mark brutto. Damit ist Sydios die Ausnahme in einer Branche, deren rasches Wachstum viele Geschäftemacher anzieht.

Mehr als fünfzig Call Center gibt es derzeit in Berlin, nach Angaben der Wirtschaftsförderung Berlin telefonieren allein 134.000 Studenten im Nebenerwerb. Ralf Kleveman, Marketingchef im Vorstand der Berliner Arbeitsvermittlung Tusma, sieht auch die Nachteile der Jobs: „Studenten sind günstige Arbeitskräfte für solche Agenturen. Wir vermitteln ständig. Oft sind die Leute dann für längere Zeit versorgt. Einmal haben wir allerdings vier Frauen vermittelt, die wir wieder zurückholen mussten. Denen wurden als allein erziehenden Müttern günstige Arbeitszeiten versprochen, letzten Endes sollten sie im Schichtdienst alten Leuten Lose verkloppen.“ In diesem Fall war das Call Center nichts als die konzentrierte Fortführung von Drückerkolonnen oder Marktschreiern, so Kleveman. Wer Leute zu Ausbeutertarifen bei Tusma suche, bekomme keine vermittelt.

Jürgen Bielert, Leiter der Arbeitsvermittlung im Arbeitsamt Berlin Ost, sieht ähnliche Probleme: „Die Arbeitgeber in dieser Branche können sich leicht aus Tarifverträgen herausziehen, weil sie nicht in den Unternehmerverbänden sind.“

Die prallen Aussichten der Branche bedroht derlei Kritik nicht. In Berlin werben Wirtschaftsförderer mit den vielen multilingualen Arbeitssuchenden, einem leistungsstarken Glasfasernetz, günstigen Büromieten, Investitionsförderung und der Erlaubnis von Sonntags- und Nachtarbeit. Bielert über Erfolgserlebnisse in der Arbeitsvermittlung: „Nach Weiterbildungen konnten wir achtzig Prozent der Teilnehmer unterbringen. Bei der Maßnahme, die zur Zeit läuft, haben schon sechzig Prozent eine Stelle.“ In jeder Klasse werden zwanzig Leute in Hochdeutsch und Stressresistenz geschult. Das Training ist für die Arbeitsämter günstig, rasch und unkompliziert. Nach acht bis zwölf Wochen kann sich ein neuer Call Center Agent auf dem Arbeitsmarkt versuchen.

Das Tätigkeitsfeld reicht von Bestellungsannahme über Auskunftsdienste bis zur spezialisierten Beratung. Chancen haben Leute, die flexibel arbeiten müssen oder behindert sind. Kleveman von der Tusma: „Bei allein erziehenden Müttern sind diese Jobs normalerweise wahnsinnig beliebt, weil sie zum Beispiel im Sitzen arbeiten können.“ Frauen würden gerne genommen, vielleicht wegen der ruhigeren Stimmen, die tiefer sind als bei Teenagern, vermutet er.

Die Schmeink & Cofreth Bildungsgesellschaft mbH in Berlin Lichtenberg hat seit April ein Call Center, in dem Arbeitslose mit Behinderungen einen Job finden können.Um die Arbeit der Telefondienstleister zu bündeln, gibt es nun einen „Call-Center-Standort Berlin“.

Sydios-Mann Hartmut Vietze bleibt vorsichtig. Die Branche werde fälschlicherweise als Jobmaschine hochgelobt: „Wenn irgendwo 10.000 Leute auf der Straße sitzen, glauben viele, dass man die leicht als Telefonisten unterbringen kann“, sagt er. „Viele Menschen werden heute in diese Richtung gedrängt. Aber bestimmte Eigenschaften kann man einfach nicht lernen. Auch nicht mit gutem Willen. Kommunikative Fähigkeiten lernt man nicht in einer Schulung bei der Industrie- und Handelskammer.“