: Die Schnittchengesellschaft
Hauptsache bunt. Und der Jahresendknall erlöse uns von den Menschen: Jörg Michael Koerbls „Neues Deutschland“ am Münchner Residenztheater ■ Von Sabine Leucht
Neues Deutschland“ ist natürlich kein leichtfertig gewählter Titel. Es ist sogar hochgradig mutwillig, wie er mit dem Namen des publizistischen Zentralorgans der SED zugleich das heikle Vaterlandsthema wie das Neue (Jahrtausend) ins Feld führt. So ein Titel peppt und groovt; und weil er alles verspricht, strömte nicht nur die Presse emsig herbei zur Uraufführung im Münchner Residenztheater. Und dann sah man doch nur ein leichtfertiges Stückchen Theater – von Cornelia Crombholz in eine noch leichtfertigere Inszenierung gegossen.
Dabei war der Gedanke ja schön: Im Jahr zehn nach dem Mauerfall endet abrupt das Jahrtausend, und die Deutschen stehen vor dem Loch, das Zukunft heißt. Da sollte man mal zwei Ex-Ossis reingucken lassen: Doch Jörg Michael Koerbl, 1950 in Stendal geboren, ließ kürzlich in der Hauszeitung des Bayerischen Staatsschauspiels verlauten, sein Stück könne ebenso gut „Neues Frankreich“ heißen. Was die 33-jährige gebürtige Hallenserin Cornelia Crombholz auf einem Symposium im Oktober zwar nicht fand, aber weder das Deutsche noch das Neue an diesem Stück zu packen wusste. Und so ist der von ihr inszenierte Abend auch geworden: Eine Zeit lang amüsiert die Rotzigkeit des Irgendwie, die er fast stolz vor sich her trägt. Dann aber stößt der Versuch von Crombholz, auf Teufel komm raus eine optische Gagmaschine am Laufen zu halten, in gähnende Ödnis vor. Nichts als Unterhaltung zu wollen ist der Tod der Unterhaltung. Die Politik bleibt draußen, deutsch wirkt vor allem das pseudoschwerblütige Befindlichkeitsgequatsche. Und daran, dass eigentlich Silvester ist, erinnern bloß Luftschlangen und die Partylaune, die nach der Pause mittels vollgemülltem Tisch behauptet wird. Hauptsache die Deko stimmt. Hauptsache bunt.
Nun ja, warum sollte gerade der deutsche Osten auf Visionen abonniert sein, wo alle anderen schon froh sind, wenn der anstehende Jahresendknall uns mit Weltuntergängen und kollektiven Computerabstürzen verschont? Wenigstens den Knall selbst aber definieren Koerbl und Crombholz neu. Doch der Reihe nach: Berlin, Silvester 1999/2000. Ein Politiker und ein Unternehmer samt Gattinnen haben sich zum Jahreswechsel Albernheit angetrunken und dazu passende Glitzerhütchen auf ihre Ausbeuterschädel gesetzt. Da platzt Reinhard Fuhrholzer in die neureiche Fröhlichkeit. Und der Ex-Parteibonze hat seinen abgedrehten Sohn Jörg mitgebracht, den er schön doppeldeutig als Architekten der Zukunft verkaufen will. Und weil die Lust auf Freaktourismus die Berührungsangst besiegt, treffen schließlich Ladies in großer Robe auf das, was sich Klein Hänschen unter Aussteigern vorstellt: Alkis in lila-senf-fleischfarbenem Lagenlook, die im Müll leben und sich nicht mal drei gleiche Lampen an die Decke hängen können. Sie träumen alternativ von Menschheitsbeglückung oder Mord – was sich letztlich als ein und dasselbe herausstellt. Denn so beglückt wie am Ende, als der bekloppte Jörg nach fast drei Stunden die ganze Mischpoke per Handgranate auffliegen lässt, so beglückt war man lange nicht. Nur dass Jörg weiter lebt, macht noch Sorgen. Und die eigene Lust am Nihilismus. Es ist nicht so, dass Koerbl nun gar nichts zu sagen hätte. Er parliert elegant von Karl May und Marx und gesellschaftlicher Mülltrennung. Und nimmt nebenbei auch noch das Klischee vom ewigen Jammerossi hopps. Dass Koerbl dennoch kein Stück aus dem wirklichen Leben geschrieben hat, ist gewollt. Doch dass viele kleine Ideen im Sand verlaufen und der Rest im allgemeinen Bühnenlärm versinkt, das ist, ob nun gewollt oder ungewollt, dann doch nur Quark.
Vielleicht ist der Abend ja schlicht das Opfer eines Missverständnisses, das meinte, Ost und Ost würden schon zusammenpassen. Dem ist (natürlich) nicht so. Sogar die Leichtfertigkeiten sind verschieden: Ewiger Querulant, der er ist, erfindet Koerbl nur Querulanten. Anarchist, der er sein will, gibt er ihnen nichts mit auf den Weg, woran sie sich halten können. Bei Crombholz klammern sie sich zäh an ihre eigene Schrägheit: Jörg (Fritz Schediwy), das verkannte Genie, das so heißt wie der Autor, der in seiner Vita mit Misserfolg und Krankheit prunkt, macht Crombholz zum grasgrünen Quasselpapagei – mit narrischer Halskrause und Bunnyschwänzchen vor dem Gemächt. Ihre Sympathie gilt dem Alt-Parteiler. Einem von denen, denen Koerbl seine einstige Erfolglosigkeit verdankt.
Als der verhärmte kleine Mann zum Schlussapplaus auf die Bühne gezogen wird, fühlt man ein wenig mit ihm, der – Profi-Schauspieler immerhin – sich am Rand herumdrückt, als wollte er niemals dort gewesen sein. Vielleicht fand er bestätigt, was vor Jahren in der SZ von ihm zu lesen stand: dass das Theater „provinziell, verlogen, langweilig und eitel“ sei. Das denkt die Kritikerin eigentlich nicht. Und geht doch wieder aus einer Vorstellung und wünscht sich, sie wäre lieber Schlitten gefahren. Wäre sie? Nachts – und wo der Münchner Märchenschnee schon taut? Sie hätte Irm Hermann verpasst, wie sie als überspannte Berufsgattin mit einem unnachahmlichen Gurren in der glasklaren Stimme sagt: „Ich glaube, heute werden wir alle etwas verrückt sein.“ Sie hätte niemals erfahren, wie viel Würde ein sächselnder Einheitsverlierer (Wolfgang Hinze) seiner Lächerlichkeit abgewinnen kann. Und sie hätte Sabine Orléans nicht Fischschnittchen essen sehen – ein gewaltiger Menschlichkeitseinbruch in eine Schnittchengesellschaft aus buntem Plastik.
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