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„Wir zerlegen alles“

■  Der Slacker ist tot, Loser zählt nicht mehr, es lebe der King of Funk and Soul: Beck spricht nach seiner erneuten Mutation über Sexgesetze, Humor, notorisches Sampling und musikalische Gen-Wissenschaft

taz : Sie singen jetzt Dinge wie „I'm a full grown man and I'm not afraid to cry“. Haben Sie genug von Ihrem Image als milchbärtiges Wunderkind?

Beck: Ja. Immer wenn ich eine Kritik oder eine Story lese, nennen sie mich den Kindmann oder so einen Blödsinn. Das ist wirklich nervig – obwohl: Vielleicht ist es ja ein Kompliment. Ich werde ja auch nicht jünger. Aber als ich 18 war, sah ich aus wie 12, mit 25 wirkte ich wie 16, ich habe mich längst daran gewöhnt. Zumal es bei mir in der Familie liegt. Mein Vater wurde ständig für meinen Bruder gehalten, was wirklich witzig war.

Sie singen auch „I want to defy the logic of our sexlaws“ – als wären wir noch in den aufrührerischen Sechzigern.

„Ich will mich den Logiken unserer Sexgesetze widersetzen“ – für mich fasst dieser Satz einfach unsere Bühnenshow zusammen. Als Aussage genommen macht es ja keinen Sinn, es ist ein Nonsens-Manifest.

Wie manches, das Sie in die Welt gesetzt haben.

Nun, manchmal mache ich einfach die Tür auf und lass raus, was eben rauskommt. Das ist man nämlich selber – so wie man wirklich ist. Es ist ja so einfach, all diese Filter aufzusetzen und nur das Zeug durchzulassen, das sozial verträglich ist. Interessanter wird es, wenn man die Hand vom Steuer nimmt und die Karre von selbst fahren lässt.

Ihr neues Album „MidniteVultures“ verarbeitet Disco, Funk und Seventies-Rock. Wollten Sie den sexy, groovy Beck in sich rauslassen?

(lacht) Irgendwie schon. Obwohl das Ganze natürlich noch immer sehr frei und völlig dadaistisch ist – es vereint Sexualität mit Surrealismus und Humor. Ganz einfach weil Sex in der weißen Rockmusik immer mit einer düsteren Konnotation belegt ist. Wenn er in einem Song auftaucht, dann meistens im Zusammenhang mit Missbrauch und Perversionen. In der Rhythm 'n' Blues-Welt dagegen ist Sexualität etwas Verspieltes und Lustiges. Nimm nur R. Kelly oder Silk – diesen Kram höre ich schon seit zwei Jahren. Silk haben zum Beispiel einen Song, in dem es heißt: „Ich will dich von oben bis unten ablecken.“ Das singen sie mit einer unglaublichen Hingabe. Aber dann kommt der Refrain, der in diesem Kontext einen unglaublichen Humor besitzt. Und genau der fehlt in der weißen Musik.

Am lustigsten ist dieser Humor natürlich immer für Männer.

Ja, vor allem im R'n'B und HipHop. Die sind geradezu fixiert auf maskuline Energie und das ewige Betonen der eigenen Männlichkeit. Gleichzeitig geht das aber auch einher mit einer ausgeprägten weiblichen Seite – oder zumindest einem Bewusstsein dafür. Nicht umsonst kann jemand wie Prince fast wie ein Mädchen singen.

Mit „Debra“ haben Sie den besten Prince-Song komponiert, den er selbst nie geschrieben hat.

Ich dachte eigentlich eher an Marvin Gaye ... Prince war schließlich nicht der Erste, der mit Falsettstimme gesungen hat. Nur: Jeder, der einen ähnlichen Ansatz aufgreift, wird automatisch mit ihm verglichen. Das geht mir nicht anders: Wenn ich Mundharmonika spiele, rufen die Leute immer „Neil Young“, was mich schon deshalb ärgert, weil es so offensichtlich ist. Das ist völlig daneben.

Und treibt Sie dazu, ständig den Stil zu wechseln.

Ich habe ganz einfach zwei völlig verschiedene Arbeitsweisen. Zum einen die direkte und einfache Folkmusik und dann eben noch diese Enzyklopädie von Sounds, diesen vielschichtigen Arbeitsansatz. Das ist in etwa so, als wenn du eine Bleistiftzeichnung machst und sie dann mit allen nur verfügbaren Farben ausfüllst. Das ergänzt sich einfach prima.

Das heißt, dass es keine Hierarchie zwischen den beiden Seiten des Beck Hansen gibt.

Ganz genau. Du musst einfach in der Lage sein, dich selbst auf ein Minimum zu reduzieren und dann immer wieder ins Extrem zu gehen. Bis du den Punkt erreichst, an dem du dich nicht weiter biegen kannst und wieder zum Anfang zurückkehrst. Das ist einfach die Natur des physikalischen Universums.

Oder ein Weg, die vielen Nachahmer abzuschütteln, die es mittlerweile gibt.

Ja, ganz grausam. Genau deshalb habe ich ja so viel Zeit mit diesem Album verbracht und so viel Arbeit darin investiert – heutzutage kann eben jeder einen Beat loopen und ihn dann mit ein paar coolen Sounds versehen. Als ich auf „Mellow Gold“ zum ersten Mal damit rumgespielt habe, war es geradezu revolutionär, einen Folksong mit Breakbeats zu kreuzen. Es war einfach wahnsinnig aufregend. Und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis es jemand aufgreift und kommerziell ausreizt. Das ist inzwischen passiert – es ist eine tote Sache. Klar stimmt mich das traurig – andererseits gibt es mir aber auch eine neue Freiheit.

Wo kann in den Neunzigern noch ein Vorsprung herkommen?

Die Leute müssen endlich begreifen, dass meine Band und ich alle Instrumente selbst spielen, dass wir unsere eigenen Loops kreieren und wir jeden Breakbeat in bis zu zweitausend kleine Teile zerlegen. Wir reduzieren das Ganze bis auf seine Moleküle – im Grunde betreiben wir also Gen-Wissenschaft auf musikalischer Ebene.

Sie kreuzen Ihren Sound auch gerne mit arabischer Folklore und Electronica.

Ich spiele einfach gerne mit Dingen. Leider werden viele Elemente, die ich in der Musik liebe, von den Leuten als Retro oder Kitsch erachtet. Aber ich bin nun mal mit Velvet Underground und den Stones aufgewachsen, von daher ist eine verzerrte Gitarre für mich genauso spannend wie eine Grunge-Gitarre aus den 90ern. In meinem Universum gibt es keine Rangfolge, keine Hierarchie. Viele halten eine Fuzz-Gitarre für Kitsch – wie engstirnig. Du kannst dich nicht hinstellen und einen Sound einfach nur einer gewissen Zeit und einem Umfeld zuordnen. Das ist doch Blödsinn.

In den 90ern wird, obwohl alle Stile geplündert werden, eben wieder in Schubladen gedacht.

Leider. Das ist auch der Grund, warum ich beim Songwriting völlig abzuschalten versuche. Ich vergesse alles, was je über Musik geschrieben oder gesagt wurde, und versuche einfach, etwas vollkommen Frisches zu machen – als wenn ich noch nie etwas von den Stones oder von Prince gehört hätte. Ich gehe einfach nur hin und sage: „O.k., das klingt toll.“ Die Musik als das nehmen, was sie wirklich ist, nicht das, was damit assoziiert wird. Das ist dieses blöde Kritikerdenken – wir sind alle Kritiker. Wir sind doch gar nicht in der Lage, einen Song zu beschreiben, ohne ihn als „Jethro Tull trifft Iron Maiden trifft Devo“ zu umschreiben. Dieses Vergleichen mit anderen Bands ist schiere Faulheit – und völlig billig. Außerdem finde ich es unfair dem Künstler gegenüber.

Stimmt es, dass Sie noch ein komplettes Blues-Album im Kasten haben?

Ja, zumindest ein halbes – aber das ist wirklich prima. Vor allem die Stücke, die ich vor etwa fünf Jahren mit der Blues Explosion aufgenommen habe. Wir sind in New York in ein 16-Track-Studio gegangen und haben einfach nur jede Menge Spaß gehabt. Ich halte das Material trotzdem zurück. Für mich ist es einfach nur ein cooles Souvenir an eine tolle Zeit – wie eine Postkarte aus New York. Dann habe ich auch noch einige Songs mit Ray und Glover gemacht – diese 60ies-Blues-Typen aus Minneapolis, die einen großen Einfluss auf das frühe Dylan-Zeug hatten. Als Dylan in Minneapolis war, haben sie ihm alles beigebracht. Dave Ray konnte die Zwölfsaitige fast so gut spielen wie Leadbelly – und das war in den frühen 60ern. Es gibt auch ein paar Platten von ihnen, die zu meinen absoluten Lieblings-Folkalben zählen. Die sind so unglaublich rau, und wenn du dir die Bilder ansieht, dann waren das echte Punks.

Hätten Sie gerne damals gelebt?

Nein. Ich mag, wo ich bin. Natürlich waren die Sechziger vom Kulturellen her ziemlich interessant, aber im Großen und Ganzen war es doch ganz anders. Zum Beispiel dieser Mitschnitt vom Isle-Of-Wight-Festival: Da waren die Kameras die ganze Zeit auf irgendwelche verrückten Hippies gerichtet, aber 80 Prozent der Anwesenden waren ganz normal. Ich rede mit Leuten, die so alt sind wie meine Eltern, und die meinen: „Wir waren die einzigen Freaks.“ Dann reden sie über die Blütezeit der Frisco-Szene, und es stellt sich heraus, dass es dort nur zwei Dutzend Freaks gab. Der Rest war so bieder und normal wie deine Großmutter. Insofern haben wir ein völlig verzerrtes Bild davon, wie diese Zeit wirklich war.

Wie sind Sie zu dem Prada-Anzug gekommen, den Sie seit einiger Zeit tragen?

(lacht) Die schickten mir einen Gratis-Anzug, über den ich mich wirklich sehr gefreut habe. Schließlich bin ich jahrelang in irgendwelchen verwaschenen Klamotten rumgelaufen. Meine Eltern hatten einfach kein Geld, also musste ich immer billige Sachen aus dem Laden der Heilsarmee tragen – drei T-Shirts für einen Dollar. Lustigerweise ist dieser Look seit ein paar Jahren so populär, dass dieselben Shirts jetzt 50 bis 60 Dollar kosten. Da kam mir der Anzug gerade recht – er war mein Statement gegen dieses Slacker-Image. Obwohl: Als sie mir dann einen Werbevertrag anboten, habe ich dankend abgelehnt. Ganz einfach, weil du ständig von irgendwelchen großen Firmen belagert wirst, die dich für ihre Zwecke einspannen wollen: hier eine halbe Million für eine Budweiser-Kampagne, zehn Millionen von Tommy Hilfiger, ein freies Mittagessen für einen Gastauftritt im neuen Julia-Roberts-Film. Was soll ich damit? Ich würde mich nie so vereinnahmen lassen.

Interview: Marcel Anders

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