: Gerhard setzt zum Sinkflug an
Er ist reisefreudig wie kaum ein anderer. Er mag Karneval und gute Kumpels. Rechnungen vergisst er. Wie lange kann sich Ministerpräsident Gerhard Glogowski noch halten? ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) – „Das Lügengebäude bröckelt – die Tage eines Ministerpräsident Glogwoski sind gezählt“, so fasste gestern die niedersächsische Grünen-Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms den Stand der Affäre um Reisen und Feiern des Gerhard Glogowski (SPD) zusammen. Zuvor hatte der Ministerpräsident zugegeben, für eine Reise mit der TUI erst nachträglich eine Rechnung angefordert zu haben. In Hannover scheint eine lange Politikerkarriere unaufhaltsam zu Ende zu gehen. Wie sein langjähriger Weggefährte Gerhard Schröder stammt auch der ein Jahr ältere Glogowski aus kleinen Verhältnissen. Sein Vater war Fahrer der SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer. Die Sozialdemokratie war schon immer die Heimat des heute 56-Jährigen, der schon 1966 im Alter von 23 Jahren in Braunschweig sein erstes kommunalpolitisches Mandat übernahm.
Als Gerhard Schröder 1978 Juso-Bundesvorsitzender wurde, war Glogowski bereits zwei Jahre Oberbürgermeister von Braunschweig. Als Vertreter der Parteirechten und als ausgewiesener Kommunalpolitiker bestellte ihn Schröder 1990 zum Innenminister seines ersten Landeskabinetts.
Den Braunschweiger Kommunalpolitiker hat Glogowski auch nicht abstreifen können, als er vor gut einem Jahr zum Ministerpräsidenten aufrückte. Er ist wohl der einzige Ministerpräsident der Bundesrepublik, der noch immer einem Stadtrat angehört. Erst im kommenden Frühjahr will er sein Mandat im Stadtrat und den Vorsitz des Aufsichtsrats der Braunschweiger Stadtwerke niederlegen und sich auch aus dem Beirat des heimatlichen Fußballvereins zurückziehen.
Der trinkfreudige SPD-Politiker, der seine Kindheit im Rheinland verlebte, hat den Karneval in Braunschweig populär gemacht. Als vor gut zwei Jahren der niedersächsische SPD-Landesvorstand über einen möglichen Nachfolger für den Ministerpräsidenten Schröder diskutierte, erhielt Glogowski den Zuschlag nur mit der Maßgabe, seinen Alkoholkonsum einzuschränken.
Schon einmal, im Jahre 1988, drohte dem SPD-Politiker wegen einer Reise samt Feier ein Karriere-Knick. Damals ermittelte die Braunschweiger Staatsanwaltschaft nach einer Dienstreise der örtlichen Stadtwerke zum Münchner Oktoberfest wegen Untreue gegen den Kommunalpolitiker und Stadtwerke-Aufsichtsrat. Erst gegen Zahlung einer Geldbuße von 12.000 Mark wurde das Verfahren eingestellt.
Ein weiteres Stadtwerkefest, die sogenannte „Edelsause“, brachte die jetzige Affäre ins Rollen. Weil die Stadtwerke in Anwesenheit ihres Aufsichtsratsvorsitzenden Glogowski den Abschied eines Vorstandsmitglieds gar zu oppulent gefeiert hatten, prüft nun erneut die Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Nach der heftig ausgefallenen Kritik des Steuerzahlerbundes war die Rechnung für das kalte Buffets, das der Braunschweiger Stadthallengastronom geliefert hatte, im Nachhinein um 20.000 Mark gekürzt worden. Dazu trug Glogowski nach eigenen Angaben durch ein Telefonat von einer Kasachstanreise aus bei.
Der gleiche Gastronom lieferte auch das Buffet für die Hochzeitsfeier des Ehepaares Glogowski am 15. Mai, bei der Firmen im Rahmen eines „Marketingsauftritts“, so der Ministerpräsident, unentgeltlich Bier, Kaffee und Softdrinks an die Hochzeitsgäste ausschenkten.
Bei seinen Auslandreisen ist der Ministerpräsident sehr häufig auf Firmenkosten geflogen.
Da gibt es mehrere Reisen mit VW nach Brüssel und Brasilien. Eine Reise nach Polen auf Einladung der NordLB, die zwar schon im Juli stattfand, für die die Staatskanzlei aber erst im November eine Rechnung anforderte.
Schließlich noch ein Ausflug des Ehepaares Glogowski vom 11. bis 13. Oktober nach Ägypten zu einer Aufführung der Oper „Aida“ an den Pyramiden. In seiner Rechtfertigungspressekonferenz hat Glogowski diese Reise als Staatsbesuch bezeichnet, und tatsächlich hat er wohl seinerzeit ein Gespräch gemeinsam mit dem TUI -Vorstand und mit dem ägyptischen Tourismusminister geführt. Dieser Staatsbesuch war allerdings im offiziellen Terminkalender der Landesregierung nicht angekündigt. Das Ehepaar Glogowski unterbrach nämlich seinen Mallorca-Urlaub, um von Deutschland mit einer von der TUI gecharterten Maschine nach Ägypten und zurück zu reisen.
Die Einladung zu dem „Staatsbesuch“, so hat Glogowski inzwischen gegenüber der Braunschweiger Zeitung eingeräumt, hatte die TUI dem niedersächsischen Spitzenpolitiker vermittelt. Und auch die Flugkosten für Glogowski und seine Begleitung sollte und wollte das Reiseunternehmen zunächst tragen. Erst als die Begünstigungsvorwürfe laut wurden, hat die niedersächsische Staatskanzlei bei der TUI eine Flugrechnung bestellt. Auch dies hat Glogowski am Mittwoch dem Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung eingestanden. Wenn es nun tatsächlich noch zu einem Untersuchungsausschuss kommt, müsste der Ministerpräsident detailliert über seine Reisen und Feste und deren Abrechnungsmodalitäten Auskunft geben. Das sollte er vielleicht sich selbst und der Partei, in der er aufgewachsen ist, ersparen.
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