: Der Preis ist – heiß
Die Trennung zwischen Redaktion und Werbung schmilzt dahin: Ein Hearing des Deutschen Presserates ■ Von Michael Rediske
Wo Anzeige drin ist, steht Anzeige drauf, oder Werbung ist als solche klar zu erkennen. So sollte es funktionieren, das hergebrachte „Trennungsgebot“ zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt, wie es der Kodex des Deutschen Presserates vorschreibt. Doch diese Trennung wurde in den letzten Jahren durch neue Formen der Werbung aufgeweicht. Da fliegt ein Ball mit dem Signet der Diebels-Brauerei quer über den Sportteil einer Zeitung, und Bitburger kauft sich eine Seite in der Woche, über der noch in kleinen Lettern „Anzeige“ steht, die ansonsten aber aus quasiredaktionellen Artikeln über die Mondlandung besteht. Und Mondspaziergänger Armstrong ordert auf dem Foto durstig: „Bitte ein Bit!“
Dienstleistung gegen „ein spezifiziertes Entgelt“
Die „Kreativen“ in den Werbeagenturen schwärmen von solchen innovativen Ideen, und der Verband der Zeitschriftenverleger freut sich über eine „Revitalisierung von Print als Werbeträger“ – nur in den Redaktionen grummelt es vernehmlich. Auch der Presserat sieht sich immer häufiger mit Beschwerden konfrontiert, dass sich Werbung zunehmend in redaktionelle Texte einschleicht oder Verlagsbeilagen, die aus PR-Beiträgen und Anzeigen bestehen, ihren Charakter nur noch verschämt im Impressum oder gar nicht mehr preisgeben.
Ist das Trennungsgebot also überholt, sollte es der Leserschaft überlassen bleiben, sich an intelligenter Werbung in Zeitungsartikeln zu erfreuen – oder darüber hinweg zu lesen? Aus der Fernsehforschung weiß man, dass filmunterbrechende Werbung die Zuschauer weit mehr verärgert als in die Sendung integrierte Werbung oder Product Placement. Und in einer Studie der Zeitungs Marketing Gesellschaft meinten 78 Prozent der Befragten, sie könnten gut zwischen Anzeige und redaktionellem Text unterscheiden. Oder sollte das Trennungsgebot doch besser strikt durchgesetzt werden?
Der Deutsche Presserat, Selbstkontrollinstanz der Printmedien, entschied sich, erst einmal Betroffene und Interessenvertreter anzuhören, und rief für den vergangenen Mittwoch zu einem Hearing nach Bonn. Den Anfang machte Roderich Reifenrath, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, der die „Zerstörung redaktioneller Qualität“ durch Werbung beklagte, die den Zusammenhang von Text und Layout zerstört.
So habe sich seine Redaktion gegen „vier rote Blöcke im Text“ – Telekom-Magenta? – nicht wehren können. Argument der Anzeigenverkäufer: „Von irgendwas muss die Zeitung ja leben.“ Aber dann hielt er eine Anzeige hoch, die dann doch nicht erscheinen durfte: Auf einer Doppelseite sollte quer ein obdachloses, schwarzes Kind liegen, das sich mit einer Zeitung zugedeckt hat. Nur sein Kopf und seine Füsse sollten in den beiden äußeren Seitenspalten rechts und links zu sehen sein. Auf der angedeuteten Zeitung, die seinen restlichen Körper bedeckt, sollten dann die für diese Seiten geplanten Texte stehen. Die Anzeige wollte für das US-Kinderhilfswerk World Vision werben – ein humanitärer Vorreiter für Kommerzkunden. Hier wird Werbung nicht mehr in den Text integriert, sondern der redaktionelle Teil wird zum Gestaltungselement der Anzeige. Reifenrath, der sich in diesem Fall noch durchsetzen konnte, hält die Forderung, Werbung müsste nur als solche erkennbar sein, für zu schwach. Zudem seien die Redaktionen an der Misere mit schuld, seit sie mit Kästen und Farben arbeiteten wie Werbeagenturen. Da setzte Volker Nikkel, Geschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft, natürlich andere Akzente. Die klare Trennung sei zwar notwendig (“daran hängt die Glaubwürdigkeit“), aber hinter dem Vorwurf „Schleichwerbung“ steckte häufig mangelndes Vertrauen von Intellektuellen in die Unterscheidungsfähigkeit der Bürger.
Der Vorsitzende des Deutschen Rates für Public Relations, Horst Avenarius, brachte gleich einen Entwurf für eine neue Richtlinie seines Verbandes zur Unterscheidung von Product Placement (erlaubt) und Schleichwerbung (veboten) mit: „Marken und Produkte gehören zum Alltag der Menschen, sie gehören daher in die den Alltag reflektierenden Medien.“ Gezieltes Placement ja – nur düften die Medien nicht „in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werden“. Außerdem dürften weder offene Bestechungsgelder noch „Kostenbeteiligungen“ gezahlt werden. Geächtet bleiben soll Schleichwerbung, bei der für die Darstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung im redaktionellen Teil „ein spezifiziertes Entgelt gezahlt wird, ohne dass dies für Leser, Hörer oder Zuschauer erkenntlich ist“.
Dabei fließt Geld selten direkt, die redaktionelle Erwähnung von Produkten wird einfach vom Kunden erwartet – als „added value“ für den Kauf von Anzeigenseiten. Wie so etwas vor sich geht, schilderte Torsten Bardohn, Anzeigenleiter bei Gruner+Jahr, anhand eines „durchschnittlichen Gesprächs zwischen der Werbeleitung eines Modekunden und der Anzeigenleitung eines Lifestylemagazins“: „Nach einleitenden Komplimenten über das gute Aussehen, die exquisite Garderobe und die beeindruckende Qualität der Arbeit aller Beteiligten zückt die Werbeleitung einen Ausdruck ihrer Datenbank, aus dem mit unerbittlicher Präzision hervorgeht, dass trotz der 12 geschalteten Anzeigenseiten die Proukte des Modekunden nur zweimal redaktionell erwähnt wurden, während die des Wettbewebers, der gar keine Anzeigen schaltet, achtmal erwähnt wurden.“ Am Schluss des Gesprächs verspricht die Moderedakteurin, „ganze Seiten mit der Mode des Kunden zu füllen, und wird sicherstellen, dass es zumindest bei den zwei Erwähnungen des Vorjahres bleibt.“ Bardohn beeilte sich hinzuzufügen, im Stern gehe es nicht so zu.
Länger und mehr. Aber weniger innovativ als erwartet
Ein Kundengespräch beginnt laut Bardohn gern auch mit folgender Anmoderation: „Wir möchten sehr gern mit Ihrer Zeitschrift ins Geschäft kommen, wollen Ihnen aber nicht einfach nur Druckvorlage und Scheck schicken. Wir wollen mehr mit Ihnen machen – lassen Sie uns innovativ sein.“ Dann folge ein längerer Vortrag, der aber statt einer innovativen Idee die Erwartung enthalte, „dass die ,kreativen' Redakteure aus lauter Produktbegeisterung und –überzeugung eine über sechs Ausgaben reichende, schwer interaktive Leseraktion entwickeln“. Auch hier fügte der G+J-Mann „fürs Protokoll“ hinzu: „Der Stern nimmt nur Schecks und Druckvorlagen.“ Denn „Redaktion“ sei zwar kurzfristig die preiswerteste Dreingabe für den Kunden – doch sie „zerstört die Basis des Geschäfts: die Zeitschrift“.
Hoffen wir, dass der Stern bei Anzeigenkunden tatsächlich standhafter bleibt als sein ehemaliger Chefredakteur Michael Maier gegenüber Caroline von Monaco. Die Fotos von ihrer Hochzeit mit Ernst August jedenfalls wurden von einem hymnischen Text begleitet, der von der PR-Agentur des Herrscherhauses nicht vorteilhafter hätte verfasst werden können. Stern-Redakteure, die das weniger schätzten, nannten den Grund: Die Story war der Preis für den exklusiven Abdruck der Fotos.
Der Autor ist Mitglied des Deutschen Presserates
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