piwik no script img

■ KommentarWer will den Freihandel noch?  Bei der WTO-Tagung hofft jeder auf die anderen

Freihandel ja. Aber bitte nur dort, wo mein Land wettbewerbsfähig ist. Mit diesem Motto im Kopf und vielen allzu kleinen Zugeständnissen in der Tasche sind die Wirtschaftsminister aus 136 Staaten der Welt gestern zur Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) im amerikanischen Seattle eingetroffen.

Verständlich, dass jedes Land, jeder Handesblock, in erster Linie seine eigenen Interessen vertritt. Doch das ist der Grund, warum es womöglich gar keine neue Verhandlungsrunde geben wird – und das wäre gut so. Zumindest wäre ein nützlicher Aufschub gewonnen, wenn sich die Konferenz in Seattle nicht auf eine Tagesordnung einigen kann. Ein Aufschub, den vor allem die Entwicklungsländer brauchen, haben sie doch immer noch an den Liberalisierungsbeschlüssen der letzten Runde zu knabbern. So hätten sie Zeit, noch einmal über die Frage nachzudenken: Wer will überhaupt mehr Freihandel? Die Streitigkeiten zwischen den USA und der EU, innerhalb der EU, innerhalb der einzelnen Länder der EU, zwischen Umweltschützern und Nord-Süd-Initiativen – sie sind nur der Ausdruck eines wachsenden Unbehagens mit der Globalisierung und der Liberalisierung des weltweiten Handels.

Nein, non, no – in Frankreich und auch in der Schweiz haben tausende von Demonstranten, die in den letzten Tagen auf die Straße gingen, anscheinend schon nachgedacht. Der Preis, den sie bezahlen müssen, falls ihre Regierungen den Bauern die Subventionen streichen, erscheint ihnen zu hoch. Da helfen auch die Beschwörungen von EU-Handelskommissar Pascal Lamy nichts, die WTO verhelfe dem Handel zu einem „menschlichen Gesicht“: Wohin der Druck, möglichst viel möglichst billig zu produzieren führt, haben die jüngsten Lebensmittelskandale gezeigt: Klärschlamm im Hühnerfutter, Fischmehl für die Kuh.

Die EU steckt in einem Dilemma – schließlich ist es nicht sehr populär, die eigenen Bauern um ihre Existenz zu bringen – und schiebt gern gehörte Einwände wie Umweltschutz und Sozialstandards vor. Damit entkräftet sie zwar die Kritik von Umweltverbänden, schließt aber viele Schwellen- und Entwicklungsländer vom Handel aus. Warum denn so verschämt? Warum nicht offen bekennen: Wir wollen Liberalisierung, aber bitte nicht hier. Katharina Koufen

Berichte Seite 2

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen