: Wo nachts alle Katzen bunt sind
■ „Photochina“: Anja Henningsmeyer im Galeriehaus-Foyer
Vom Abrissbagger mittendurch geteilt, dient das nächtlich erleuchtete Wohnzimmer als Balkon im feuchtwarmen Spätsommer der südchinesischen Provinzhauptstadt Fuzhou. Aber bei der Ausstellung Photochina im Foyer des Galeriehauses geht es nicht nur um Kritik an der rasend schnellen Vernichtung der Altbausubstanz in Chinas Städten. Die in Hamburg geborene, halb in Berlin und Südchina ansässige Künstlerin Anja Henningsmeyer sieht in den fremden Straßenszenen und nächtlichen Neonverheißungen auch eine Spiegelung der eigenen Traumwelt. Ihre Suche gilt dem historischen China – weniger jedoch antiken Kulturgütern als vielmehr einer im Schwinden begriffenen tradierten Lebensweise.
Die Spuren davon reflektieren für sie etwas, was anderswo nicht mehr zu finden ist. Staunend wird ein Land betrachtet, in dem noch zurückgestaunt wird, in dem aber alles auf melancholische Weise gerade aufhört, anders zu sein. So bleibt es nur, zumindest fotografisch festzuhalten, was zwischen nagelneuen McDonalds und Kentucky Fried Chickens einerseits und einer oft sehr künstlichen Musealisierung ausgewählter hochkultureller Sights andererseits in einer solchen Geschwindigkeit sich auflöst, wie es kaum vorstellbar ist. Anja Henningsmeyer hingegen nimmt sich Zeit. Sie kennt China seit sieben Jahren und bleibt nicht in den neuen städtischen Glitzermeilen, sondern geht in die grau-staubigen Abbruchviertel oder fährt in entlegene Bergdörfer. Aber es geht weniger um soziologische Erfassung – es ist die sichtbare Beiläufigkeit und die bewußte Subjektivität, die diese Fotos betrachtenswert machen.
Mit einer kleinen Kamera und billigen Filmen fotografiert Anja Henningsmeyer oft ohne durch den Sucher zu schauen, meint sie doch, nur ein beiläufiges Bild sei ein gutes Bild. Denn wenn man so zufällig, wie es einem Fremden eben nur möglich ist, in eine gefundene Situation kommt, warum sollte man da in ordentlichen Fotos Absicht und Kalkül erzwingen? So zeigt sich die ungewöhnlich bunte Nachtseite Chinas, die am Abend zur Bühne verwandelte Straße mit ihren kleinen Versprechen von ein bisschen Wunderland im Blick der ersten Überraschung. „In China sind nachts alle Katzen bunt“, behauptet Anja Henningsmeyer und gibt so ein überraschend stimmiges Bild für den dortigen Umgang mit Kunstlicht. Bunt sind aber nicht nur die Katzen, sondern auch die Schwarzweißfilme der Künstlerin, wenn auch anfangs nur infolge eines Fehlers. Denn ihr erster in China entwickelter Film wurde vom Labor ruiniert. So fing sie an, die Negative zu kolorieren. Durch die Manipulation und die subjektive Skizzenhaftigkeit werden diese Bilder eher zu individuellen Notaten und erzählen dann weniger von Fuzhou oder gar von China, sondern von einem imaginären Ort, einem Ort im Dazwischen der Kontinente, im Dazwischen einer Biografie. Mithin wären die Arbeiten transitorische Annäherungen an etwas, was selbst vor allem seinen Wandel zeigt. Diejenigen, die nicht die politische oder ökonomische Euphorie über solche Dynamiken teilen, erkennen auch die Melancholie, die hinter dem Glanz mancher dieser Bilder hervorscheint.
Hajo Schiff
„Photochina“, Foyer des Galeriehauses (Barlach-Halle K), Klos-terwall 13, Di - Sa 12 - 18 Uhr, bis 4. Dezember
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