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Die Bahn auf dem Rückzug

■ taz-Serie Güterverkehr, Teil 3: Bis 2010 will die Bahn 31 Güterbahnhöfe schließen. Kritiker warnen vor endgültiger Aufgabe der Bahntrassen in der Stadt

Beim Kampf um die Marktanteile im Güterverkehr verliert die Schiene an Boden: Laut dem Konzept „Verkehrsplanung für Berlin“ der Verkehrsverwaltung hat die Bahn in den letzten Jahren sowohl an der absoluten Gütermenge als auch im Verhältnis zu ihrer Konkurrenz verloren: „Der Anteil am Gesamtaufkommen beträgt inzwischen etwa 30 Prozent.“

Das war einmal ganz anders. 80 Prozent des Güterverkehrs landeten zu DDR-Zeiten auf der Schiene, meint Katharina Urban, Leiterin der Abteilung Infrastruktur bei der Deutschen Bahn Berlin. Damals boomte der Schienenverkehr, rings um Berlin wurde rangiert, was das Zeug hielt. Schließlich galt die Vorschrift, alle Transporte über 50 Kilometer mit der Bahn abzuwickeln. Von diesen Zeiten ist die Bahn heute weit entfernt. Ihr Programm gegen den Kundenschwund heißt jetzt Gesundschrumpfen.

Denn die Pläne der DB sehen vor, von den 53 Güterbahnhöfen im Berliner Stadtgebiet bis zum Jahr 2010 insgesamt 31 Bahnhöfe zu schließen. Zwar sind im Bundesverkehrswegeplan 1992 insgesamt sieben Bahnstrecken von und nach Berlin als „vordringlicher Bedarf“ eingestuft, aber das ändert nichts an den Nachteilen der Schiene. Zuviele Güterbahnhöfe seien nicht mehr zu halten, meint Urban: „Die Straßenanbindung ist zu schlecht, die Bahnhöfe liegen zu sehr an der Peripherie, die belieferten Firmen sind inzwischen geschlossen worden, die Lage des Bahnhofs im Bahnnetz war zu schlecht, die Kapazitäten reichten nicht aus“, alles Gründe dafür, die Bahnsteige hochzuklappen.

Die geschrumpfte Bahn soll dann effektiv sein: Über das Stadtgebiet verteilt soll es neben traditionellen Logistikbahnhöfen mit gemischtem Warensortiment drei „Branchenlogistik-Centren“ geben, die nur eine Art von Ware (z.B. Bauschutt) umschlagen. Andere Bahnhöfe sollen die Schnittstellen zu Häfen und den vier Berliner Privatbahnen bilden.

Daneben sind sechs „City-Logistik-Center“ geplant. Hier sollen hochwertigere Güter, wie etwa die Warenlieferungen für Kaufhausketten, umgeschlagen werden. Fünf Logistik-Center (Ostgüterbahnhof, Wilmersdorf, Moabit, Anhalter Bahnhof und Treptow) sollen die Innenstadt mit diesen „hochwertigen Gütern“ versorgen. Das bringt Geld und ein besseres Image: Weg von der Güterbahn, die nur Kohle und Bauschutt transportiert, hin zum Bild eines modernen Dienstleisters.

Immer stärker will die Bahn auf das System der „Gesamtzüge“ setzen: Für einen Kunden wird ein ganzer Zug zusammengestellt, der dann direkt, regelmäßig und pünktlich ausschließlich für diesen Betrieb gefahren wird. So transportiert die Bahn bereits den Kaffee von Jacobs aus Bremen und die Autoteile von Ford nach Köln. Nur diese Züge umgehen den riesigen Rangierbahnhof Seddin bei Potsdam, in dem alle anderen ankommenden Güterzüge auseinandergenommen und je nach Empfänger an die zwei Knotenbahnhöfe in der Stadt (Berlin-Nordost und Tempelhof) verschickt werden. Von dort geht es in die 20 „Satellitenbahnhöfe“ für die Verteilung auf die Straße. Die Waggons werden meist nachts rollen: 78 Prozent aller Sendungen sollen bis 7 Uhr am Ausladebahnhof sein, bis 18 Uhr sollen Waren noch an den Güterbahnhöfen angeliefert werden können.

Die Bahn schaut verstärkt nach potenten Kunden, für die sie das maßgeschneiderte Angebot eines Ganzzuges anbieten will: Für das Jahr 2010 sehen die ehrgeizigen Pläne vor, jeden Tag durchschnittlich 678 Güterzüge rollen zu lassen. Nur 85 davon werden Ganzzüge sein – doch in ihnen sollen 58 Prozent der gesamten Gütermenge bewegt werden. In 70 Zügen des kombinierten Ladungsverkehrs sollen weitere 24 Prozent der gesamten Gütermenge transportiert werden. Zu deutsch: In nur 23 Prozent ihrer Güterzüge wird die Bahn 82 Prozent ihres Güteraufkommens abwickeln.

Doch die Konzentration auf die lukrativen Ganzzüge stößt beim Berliner Fahrgastverband IGEB auf Kritik: Wie beim Personenverkehr verlege sich die Bahn aus kurzfristigen finanziellen Gründen auf dieses System und vernachlässige die Versorgung abseits der Zentren, meint Christfried Tschepe von der IGEB. „Die Bahn hat zum Beispiel Überlegungen aus der Industrie, mit selbstfahrenden Zugeinheiten den dezentralen Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, nur lustlos verfolgt.“

Die wirklich großen Kunden haben auch in Berlin längst ihren eigenen Gleisanschluß. Etwa 90 Firmen mit eigenem Güterumschlag für die Schiene gibt es in Berlin, rechnet Katharina Urban vor. Doch auch diese Unternehmen nutzen die eigenen Gleise nur selten: 40 Prozent der privaten Gleisanschlüsse, schätzt Urban, werden in der Region Berlin/Brandenburg wenig oder gar nicht genutzt. Für die Unternehmen ist es oft nur eine einfache Rechenaufgabe, ob sie ihre Waren aus dem Werkstor auf die Straße oder auf den eigenen Güterbahnhof bringen. „Die Firmen,“ sagt Urban, „haben einfach kein Interesse an ihren Gleisen.“

Der Grund dafür ist klar: Der Lkw-Transport ist konkurrenzlos flexibel, weil er sich nicht an Fahrpläne und Gleise halten muß. Vor allem aber ist er konkurrenzlos billig, weil er – anders als die Bahn – für die Nutzung und Instandhaltung seiner Verkehrswege nicht zahlen muß. Dazu kommt die falsche Verkehrspolitik vom Bund und den Ländern, schimpft die IGEB: Als Konkurrent zur Schiene beim Transport von Schüttgut werde mit Milliardensummen die Binnenschiffahrt gefördert. „Die Milliarden, die im Projekt 17 in der Havel verbaut werden sollen, könnten viel sinnvoller in die Entwicklung der Bahn gesteckt werden.“

Der Fahrgastverband warnt vor Überlegungen in der Verkehrsbehörde, die darauf abzielen, die stillgelegten Industrie-Gleisanschlüsse planerisch als Schienengelände aufzugeben. „Der Staat ist verpflichtet, dieses Netz für die Güterverteilung in der Stadt aufrechtzuerhalten“, meint Tschepe. „Vielleicht kommt ja in zehn Jahren eine umweltverträgliche Verkehrspolitik. Dann brauchen wir diese Direktanbindungen wieder.“ Bernhard Pötter

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