: Auf der Kaputtniklinie
Die Happy Mondays sind tot, es lebe Black Grape! Sänger Shaun Ryder kommt uns jetzt als gemütliches Ekelpaket aus Madchester ■ Von Gerrit Bartels
Zwei Sorten von Rock- 'n'-Roll-Toten gibt es: Solche, die mythenumflort in ihren Gräbern schlafen, und solche, um die sich schon zu Lebzeiten die Nebel des Vergessens gelegt haben. Sterben brauchen sie dann im Grunde gar nicht mehr.
Shaun Ryder, unser Mann aus Manchester, ehemaliger Held der Happy Mondays, ein großer Drogenvertilger vor dem Herrn, schien eigentlich wie geschaffen für den „wahren“ Rock-'n'-Roll-Tod. Doch zu stark war seine Konstitution, zu unsensibel sein Charakter, und so langte es nur zu einem traurigen Schlußpunkt auf Barbados, wo die Happy Mondays ihr letztes, sehr verkatertes und müdes Album „Please Me“ aufnahmen – um sich kurz danach aufzulösen. Der sehr kurze Sommer der Rave-O-Lution nahm damit sein endgültiges Ende, wir erinnern uns: schnelles, heftiges Aufflackern von Gitarrenpop plus Tanzbeats, hysterischer Taumel auf der Insel, Madchester, die ersten Massenraves, die Wiederentdeckung von Extasy und LSD ... all das wurde in grauer Vorzeit, Ende der Achtziger nämlich, zu großen Teilen von den Happy Mondays mitgetragen.
Nun sind sie zurück, das heißt nicht die Happy Mondays, aber Shaun Ryder, sein damaliger Vibe- Geber und Disco-Dancer Bez sowie ein zweiter Ryderscher Busenfreund, Kermit mit Namen, ein schwarzer Rapper, Produzent und Ex-Junkie. Black Grape heißt ihre neue Band, „It's Great When You're Straight, Yeah!“ die Platte.
Schon im Titel augenzwinkernd, errichten Black Grape auf den Rave-Trümmern ein Album, daß einem manchmal die besten Momente der Happy Mondays zurückruft – auch was das ganze Drumrum betrifft: Mr. Ryder darf mal wieder das Vereinigte Königreich unterhalten mit seinen gesammelten Nettigkeiten, darf der Musikpresse unermüdlich sein Lieblingswort mit den vier Buchstaben entgegenschleudern – von der allerdings unbeeindruckt mit Pünktchenschreibweise gekontert.
Das paßt so richtig zu nichts: In einer Zeit, in der die Briten – als Konkurrenz und Gegenstück zum „amerikanischen“ Grunge Kid – den etwas braven, hübsch anzuschauenden, androgynen (Pop-)Burschen rekonstruieren, kommt ausgerechnet das alte Drogenmonster wieder hereingetapst: ein bißchen fett, scheinbar gesund, nur noch durch Gerstensaft und Gras benebelt.
Gegen die neue Smartness, in England „New Ladism“ genannt, nimmt sich Ryder tatsächlich wie ein Elefant im Porzellanladen aus: Körperlich, wie gesagt, mehr als indisponiert, sind auch Outfit und Style das letzte, worauf sich Black Grape auch nur in Ansätzen versteifen würden – dem Magazin Face erklärte Ryder, daß er allen „Shit“ tragen würde, der gerade nicht in seinem schmutzigen Wäschekorb liegt, hahaha.
Hotelzimmer kaputtmachen ist Kinderkram für so einen, das gleiche gilt für Prügeleien auf der Bühne, wie sie die jungen Bands auf der Insel (unter anderem) zelebrieren, um noch einen Zipfel von Rock'n'Roll zu erhaschen. Selbst die Happy Mondays hatten das zu ihrem Ende hin weit hinter sich gelassen.
Nein, Ryder inszeniert sich da mittlerweile lieber als Pate der Bewegung und gemütliches Ekelpaket. Für das Fashion-Magazin iD hat er sich mit Riesenschwanz fotografieren lassen, und auch sonst ist er sich für keine Rockpose zu schade – und für keinen Widerspruch. Nur halbwegs geläutert läßt er in Interviews seine Drogenvergangenheit Revue passieren, um sich dann wieder als treusorgender und verantwortungsbewußter Familienpapi zu präsentieren.
Nein, es gibt keinen Fortschritt seit den Siebzigern, sagt diese Platte, wir hängen aber an unseren Rockmythen, müssen an sie glauben, auch wenn die Grundstimmung ganz anders ist: Leere und Ausgepumptheit nach der großen Party. Doch Bangemachen gilt nicht, und irgendwann ist die Vergangenheit wieder Zukunft – von irgendwas muß die Pop-Presse ja auch leben.
Und so fügt Ryder sich in die klassische Rolle des Überlebenden, demonstriert Abgehangenheit und Unterbietung von Rockstar-Tragik durch das echte, miese, böse Leben: Einen wie Kurt Cobain hält Shaun Ryder zwar für eine tollen Musiker, sonst aber für einen Dämlack, der sich wegen eines lächerlichen Drogen- und Frauenproblems (er sagt „chick problem“!) seines Hirns entledigt.
Und doch klammert sich natürlich auch diese Platte mit sehnigem Arm an die Grundzutat des Rock, die Sympathie mit dem Teufel: Vorne auf dem Cover prangt der Schädel des Terroristen Carlos, ganz in Pop: das Gesicht knallgelb, die Lippen dunkelrot, die obligate dunkle Brille mit dem Logo „Black Grape“ und Albumtitel in der Linse, vor grün-blauem Hintergrund. Im Inner Sleeve gibt's dann das serielle Verschwinden von Carlos, dem klassischen Outlaw und Ächter von Recht und Gesetz – die alte, unmoralische Geschichte.
Durch das Video der Single „The Name Of The Father“ laufen die bannertragenden Anhänger von Carlos, aber auch die des Drogenbarons Escobar, die von Britanniens Fußballidol George Best. Massenhysterie, Massenhypnose. Der Song „Reverend Black Grape“ erlaubt sich noch einmal den Flirt mit Nazi-Rhetorik.
Die Guten, die Bösen, die Häßlichen und Shaun Ryder mittendrin – mit vagen Botschaften: Kill our idols, schaff' dir neue – oder keine. Gewürzt wird das Ganze dann noch mit bewährten Blasphemien: In früheren Songs hieß es „God makes it easy to me“, mußte ein Bruder gekreuzigt werden, heutzutage wird „In the name of the father an the holy ghost“ getextet, oder „Jesus was a black man, Jesus was batman, nonono, he was Bruce Wayne“.
„It's Great When You're Straight, Yeah!“ kommt als Prolrock daher, etwas für den Hooligan in dir, Rock, zu dem man auch bloß am Tresen stehen, Bier trinken, stumpf sein kann. Es ist die Musik, die man hassen müßte, wäre die Stumpfheit in manchen Momenten nicht doch eine höhere Form der Intelligenz – oder als würde man sich das nicht zumindest immer noch wünschen: It's only Rock'n'Roll, but ...? Zwar hat ein HipHop-Produzent mitgetan, wippt alles schön groovy und funky, doch größtenteils stompen die Gitarren mit den pluckernden Keyboards im Gleichschritt: Alles klingt irgendwie sehr rootsy, gefällt sich sehr mit Dreck am Stecken, die mit den Versprechungen des politisch-bewußtseinsmäßigen Fortschritts konkurrieren. Und wo es früher Acid-House gab, wird heute hemmungslos der Liebe zum Stones-Riff gefrönt, lassen Black Grape sie mit „Tramaazi Parti“ und „Shake Your Money“ auf der Kriechspur stehen.
Es ist im Grunde dasselbe Ding, das Primal Scream, auch Weggefährten aus gemeinsamen Rave- Tagen, schon auf ihrem 94er-Album „Give Out But Don't Give Up“ durchgezogen haben: Bloß keine kleinbürgerlichen Egos füttern, bloß keine Popspießer sein, statt dessen volle Pulle Verausgabung, Feingeister verachten als Volkssport, Daherrocken auf der Kaputtniklinie – ohne tieferen Sinn und Masterplan: „What we've always done is not really think, just do, that's just how we are!“
Daß das selbst nicht frei von Spießigkeit ist, weiß man, macht diese Platte aber nicht kaputt. Kein Neu-Aufbruch wie 89/90, keine Neudefinition von Techno oder Rave in Gitarrengewändern, eher ein Blick zurück in die Popgeschichte, natürlich auch in die eigene, und da hat Ryder mit seiner Nöligkeit, seinem stimmlichen Danebenliegen immer noch den Genius auf seiner Seite.
Und wenn im Zentrum des Albums der Song „The Big Day North“ steht, der schönste, leichteste, wehmütigste Song des Albums, ein bißchen Liebeserklärung an den Norden, an Manchester, aber auch die ehrliche, biedere Liebe als solche, dann wird sowieso alles gut; freuen wir uns, daß wir nun endlich auch ihn wiederhaben, den Shaun Ryder.
Black Grape: „It's Great When You're Straight, Yeah!“ (Radiokative/ BMG).
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