: Nur die Worte sind wirklich
■ Europa erzählt“: Niederländische und belgische Autoren lasen in der Literaturwerkstatt
Weltberühmt in Amsterdam“ – diesen gängigen Witz musste sich Frans de Rover, Professor für niederländische Literatur an der FU, vergangene Woche in der Literaturwerkstatt in Pankow verkneifen. Nicht dass er das bedauern würde, erklärte er schmunzelnd, aber die niederländische Schriftstellerin Connie Palmen sei über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannt und wirklich berühmt.
Einführende Worte, die nur zu gut bestätigt werden durch den großen Publikumszuspruch an diesem und den beiden folgenden Abenden, an denen die Literaturwerkstatt im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Europa erzählt“ fünf Autoren aus Belgien und den Niederlanden vorstellt.
Schon als Connie Palmen und der Flame Tom Lanoye auf dem Podium Platz nehmen, geht es lebhaft zu. Die beiden Schriftsteller, beide um die Vierzig, ähneln ungebärdigen Kindern: Sie können sich nicht einigen, wer zuerst lesen soll, stoßen sich mit den Ellbogen an und schneiden Grimassen, als Palmen als berühmte Autorin angekündigt wird. Tom Lanoye aber beginnt. Er stellt sich vor das Publikum und deklamiert Verse aus seiner Shakespeare-Bearbeitung „Schlachten!“. Mit dieser parodiert er so ziemlich alles, was im Laufe der Jahrhunderte an Kommunikationsformen geschaffen wurde. Es ist furios. Lanoye schlüpft in die unterschiedlichsten Rollen, er lockt und verführt, spricht laut und leise, deutlich und vernuschelt.
Anschließend liest Connie Palmen aus ihrem neuesten Buch „I.M.“, das ihre Beziehung zu dem 1995 verstorbenen niederländischen Journalisten und Talkmaster Ischa Meijer beschreibt. Eine bewegende Liebesgeschichte, ein Buch über Trauer und Verlust. Mit sehr tiefer, melodischer Stimme liest sie aus der 1999 erschienenen deutschen Fassung. In der anschließenden Diskussion aber ist Palmen wieder wie verwandelt. Erzählt, dass sie früher in Amsterdam eine Studentin des Moderators Frans de Rover gewesen sei und fragt ihn kokett, ob sie für ihr Buch eine gute Note bekommen würde – und wieder feixen sie und ihr Kollege Tom Lanoye herum, lachen sich eins, machen Sprüche: zwei große Kinder in der Welt des literarischen Showbiz.
Die Stimmung am nächsten Abend ist weniger überschäumend, alles geht etwas ruhiger und unaufgeregter zu. Was vielleicht daran liegt, dass jetzt die ältere Generation zu Wort kommt, und deren Erfahrungen mit den Nachbarn aus Deutschland sind traumatisch: Armando ist Anfang siebzig, Judith Herzberg Mitte sechzig, und während Armando in der Nähe des Konzentrationslagers Amerfort aufwuchs, musste sich Judith Herzberg während der deutschen Okkupation jahrelang auf verschiedenen Bauernhöfen in Nordholland verstecken. Wie Lanoye und Palmen weiß aber auch dieses Autorenpaar, ein spannungsreiches Miteinander zu performen.
Der Künstler und Schriftsteller Armando, daran erinnert der Moderator Wim Hottentot, sei das Vorbild für Victor Leven gewesen, einem der Hauptprotagonisten aus Cees Nootebooms neuem Roman „Allerseelen“. Wie Nootebooms Romanfigur ist auch Armando ein großgewachsener Mensch mit Seidenschal und pomadig zurückgekämmtem Haar. Seit 1979 lebt Armando mit Unterbrechungen in Berlin, eine Vielzahl Reportagen hat er seitdem aus dem „Land der Täter“ geschrieben.
Im Stehen liest er aus seinem 1992 erschienenem Prosaband „Straße und Gestrüpp“. Seine Geschichten differenzieren sehr präzise, sie unterscheiden Deutsche von Nazis und berichten auch vom Geschehen im eigenen Land, von Antisemitismus und Gleichgültigkeit. Wirkt Armando wie ein gelassener und weltläufiger Gentleman, gibt Judith Herzberg an diesem Abend ganz die kapriziöse Dame. Sie ziert sich, die vor ihr liegenden Gedichte zu lesen, und sie entschuldigt sich: Als Auftragsarbeit habe sie eines der Gedichte vielleicht allzu schnell verfasst.
Ist das nun Koketterie oder tatsächlich Unsicherheit? Judith Herzberg wurde in den Niederlanden mit allen wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet, auch hier zu Lande ist sie keine Unbekannte. Ihre Gedichte haben eine leichtfüßige Melancholie und blicken sehr humoristisch auf die Absurdität des alltäglichen Lebens. Nach ihrer Lesung streicht Armando ihr sachte übers Haar.
Schade, dass Margriet de Moor den dritten Abend allein bestreiten wollte: Dialogische Spannung und Lebendigkeit kommt da nur schwer auf. Doch ihre Lesung aus der Übersetzung ihres neuen Romans „Die Verabredung“, der auf deutsch erst nächstes Jahr erscheint, ist immerhin eine Premiere. Außerdem spürt man gut, dass Margriet de Moor es sehr ernst meint mit ihrem Ausspruch: „Die Wirklichkeit, das sind die Worte.“
Ute Schürings
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