Sanssouci: Nachschlag
■ Wenn Frauen zuviel tanzen: Increpacion im Podewil
Manche Programmtexte sind so grausam, daß man glatt hineinbeißen möchte. Aber sie dienen natürlich auch der Vorinformation – man weiß ungefähr, was einen erwartet: „Increpacion zeigt fünf Frauen. Deren Gesichter spiegeln eine Angst wider, deren Ursache nur sie kennen, aber die von allen mitgefühlt wird, weil ihr geheimer Schmerz sich lauthals artikuliert.“
Wie das Stück, so heißt auch die Gruppe, die am Dienstag und Mittwoch im Podewil zu sehen war. Increpacion kommt aus Spanien und gastiert im Rahmen des Festa Catalana in Berlin.
Zu Beginn des Tanzabends zeigen die fünf Tänzerinnen Gesten des Flamencos nur noch zerstückelt. Leider. Denn ihr Flamenco ist wirklich gut. Aber statt dabei zu bleiben, müssen sie mit zerquälten Gesichtern in nachdenkliche Posen sinken. Wobei man den Eindruck gewinnt, man schaue gut ausgebildeten Tanzabsolventinnen zu, die mit den dunklen Dingen, die sie da auf die Bühne bringen, selbst nicht das Geringste zu tun haben. Auf alle Fälle nicht in dieser Form. Es macht sich ein Phänomen breit, das man unter umgekehrten Vorzeichen vom Ballett kennt. Dort halten einem (bei klassisch-romantischen Stücken) die Ballerinen noch unter größten Anstrengungen ihr starres Cheese-Lächeln entgegen. Hier sind es die Masken der Verzweiflung, die einem Publikum penetrant, auch noch bei Halbdrehungen, entgegengestreckt werden.
Es gibt eine Defloration, die in Form eines abgestreiften roten Höschens sichtbar wird und eine singende Frau, die gern ein Kind möchte und keines hat und sich statt dessen Wäsche vor den Bauch hält. Es gibt Wäscherinnen, die herzallerliebst ihre Tücher gemeinsam aufhängen und zuammenlegen. Auch wenn hier nur Frauen tanzen, glaube keiner, das hätte irgendetwas mit Emanzipation zu tun. Flamenco ist Volkstanz, und so wird er hier auch trotz seiner Mischung mit Modern Dance-Elementen verstanden. Der linke vordere Bühnenrand ist imaginierter Ort des abwesenden Männlichen, des Begehrens und des Grauens, dem man sich, Kastagnetten schlagend, steppend oder auf dem Boden rollend nähert und von dem man sich auf ebensolche Weise wieder zurückzieht. Eigentlich ist das abwesende Männliche den ganzen Abend Thema. Was im Prinzip in Ordnung ist, schließlich sind Männer keine uninteressante Sache. Nur leider ist es so fürchterlich penetrant in Szene gesetzt.
Fairerweise muß man sagen, daß „Increpacion“, das Stück, auf der tänzerischen Ebene einige Qualitäten vorzuweisen hat. So war zum Beispiel die Weise, in der Bewegungen einzelner Tänzerinnen von anderen aufgenommen werden, um dann in asynchrone und schließlich synchrone Bewegungen zu münden, hochinteressant. Michaela Schlagenwerth
Nächstes Tanzstück im Rahmen von Festa Catalana im Podewil: Mal Pelo, am 16./17. Juni, 20 Uhr.
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