: Die Sozis treiben
■ Die Öffnung des Brandenburger Tors als vorerst letzte Wahlkampfposse
Das Brandenburger Tor offen, ein lädierter sozialdemokratischer Bausenator, die CDU in Siegerlaune – wenige Monate vor den Wahlen wird die Stimmung zwischen den Koalitionspartnern zunehmend gereizter. „Die CDU versucht, uns vor sich herzutreiben“, kommentierte gestern der SPD-Fraktionsmitarbeiter Herbert Beinlich die Strategie der Diepgen-Partei. Ob Verkehrssenator Herwig Haase nun sein Amt zur Freude der Autofans nutzt oder mit der geplanten Umbenennung der Clara-Zetkin-Straße die SPD an die Seite der PDS drängt – in Sachen Populismus war die CDU in den letzten Wochen stets einen Schritt voraus.
Trickreich wie auf dem Fußballfeld wird auch im Abgeordnetenhaus gefoult. Als vor einigen Wochen die CDU laustark zwei Gedenktafeln für die Alliierten einklagte, ließ sich die SPD nicht lumpen. „Mit so einer Kleinkrämerei geben wir uns nicht zufrieden“, konterte Beinlich. Wenn schon die früheren Schutzmächte ehren, dann richtig. Flugs steht nun die Forderung der SPD im Raum, mit den einstigen alliierten Militärs zusammen zu überlegen, ob nicht an „prominenter Stelle“ ein richtiges Denkmal gebaut werden sollte. „Dann war's ruhig, die Nummer läuft nicht mehr“, erinnert sich Beinlich. Doch die Schadenfreude über den geschickten Spielzug währte nur kurz. Schon war die nächste Provokation geboren. Klotzen statt kleckern, dachte sich da wohl die CDU und hob zum Schlag gegen die türkischen Grillfans im Tiergarten an. Vorläufiger Erfolg: Flächendeckende Medienberichte, pawlowsche Aufregung im linksliberalen Lager. Derzeit hakt der Antrag in den Ausschüssen. Am liebsten wäre es der CDU, wenn er erst im September im Plenum zur Abstimmung käme. Dann nämlich, wenn der Wahlkampf munter tobt.
Obwohl SPD-Bausenator Wolfgang Nagel beim Brandenburger Tor zurückstecken mußte, sehen seine Genossen Licht am Ende des Tunnels. Unerhofft lieferte ihnen die Öffnung des Bauwerks in den letzten 48 Stunden die besten Argumente für dessen umgehende Schließung. Wie am ersten Tag so stauten sich dort auch gestern wieder die Autos. Haases „Leistungsbilanz“, frohlockte Beinlich gestern, werde so weiter geschmälert. Der Stau also als ultimative sozialdemokratische Rache? Wenn das Tor am 9. Juli wieder für den Privatverkehr geschlossen wird, lugt die nächste Posse schon um die Ecke. Glaubt zumindestens Beinlich. Seinen CDU-Kollegen traut er noch so manche Überraschung zu: „Da ist noch alles drin“. Severin Weiland
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